Melmoth der Wanderer
verklärten und strahlenden Inkarnation ihrer Schönheit. Mehr schwebend als stehend, zeigte sie sich in einer Wolke aus Licht am Fußende meines Lagers und hielt mir ein Kruzifix entgegen, so als wollte sie mich mit dieser liebevoll-gütigen Gebärde auffordern, die fünf geheiligten Wundmale zu küssen. Einen Atemzug lang wollte ich fast schon an die fleischliche Gegenwart dieser hochheiligen Besucherin glauben, aber in eben dem Moment war da wieder die Stimme , und sie tönte lauter denn je: ›Traktiere‹, so sprach sie, ›traktiere diese Wunden mit Fußtritten, – spei sie an –, du bist mir botmäßig, und ich fordere solche Huldigung von meinem Vasallen!‹ Mit diesen Worten war die Erscheinung urplötzlich verschwunden, und die Stimme verfiel wieder in den alten Flüsterton, doch nun predigte sie tauben Ohren, da ich von einer wohltätigen Ohnmacht umfangen war. Ich konnte zwischen ihr und dem gewöhnlichen Schlaf sehr genau unterscheiden, da jener Ohnmacht eine tödliche Übelkeit, ein Ausbruch kalten Angstschweißes und das entsetzliche Gefühl des Hinschwindens voraufging, und mein Erwachen nur unter keuchendem Schluchzen sowie würgenden Anstrengungen sich vollzog. Was aber die Bruderschaft angeht, so fuhr dieselbe weiterhin darin fort, dieses entsetzliche Täuschungsmanöver aufrechtzuerhalten, ja dasselbe noch zu verschärfen, und meine Folter bestand dabei nicht so sehr darin, den Betrügern auf ihre Schliche kommen zu wollen, als vielmehr in dem Umstand, das Opfer solchen Betruges zu sein.
Gegen Mittag wurde ich in die Zelle des Pater Superior beordert. Sie war voll von Mönchen, welche den in ihrer Mitte stehenden Pater Superior in einem respektvollen Halbkreis umstanden. Welch ein Bild des Elends muß ich im Vergleich zu diesen Männern geboten haben, wie sie da in dem ganzen Stolz ihrer Macht gegen mich aufgereiht standen, gehüllt in ihre langen, durchaus nicht häßlichen Kutten, welche ihren Trägern eine Feierlichkeit verliehen, die einen stärkeren Eindruck hervorrief als so manche weltliche Prachtentfaltung! Ich hingegen stand zerlumpt vor ihnen, abgemagert, bleich und halsstarrig, in Wahrheit der fleischgewordene Geist des Bösen, der da gerufen wird, vor den Engeln des Gerichts zu erscheinen.
Der Pater Superior richtete eine lange Strafpredigt an mich, darin er indes nur flüchtig das Ärgernis erwähnte, welches durch die versuchte Widerrufung meiner Gelübde entstanden war. Auch unterließ er jeden Hinweis auf den Umstand, von welchem ein jeder in dem Kloster mit Ausnahme meiner Person Kenntnis hatte, nämlich, daß über meinen Einspruch schon in wenigen Tagen entschieden werden sollte. Hingegen wies er in Wendungen, welche (obwohl ich mir ihrer Hohlheit durchaus bewußt war) mich schaudern machten, auf das Entsetzen und die Bestürzung hin, welche durch meine grauenvolle Heimsuchung, wie er es nannte, über das ganze Kloster gekommen sei. ›Satan selbst hat seine Krallen nach dir ausgestreckt‹, so sprach er, ›da du dich mit der gottlosen Widerrufung deines Gelübdes in seinen Machtbereich begeben hast. Du bist der Judas unter den Jüngern, der gebrandmarkte Kain unter den ersten Menschen, der Sündenbock, welcher von der Gemeinschaft hinaus in die Wüste gejagt wird! Und die Schrecken, welche deine Gegenwart stündlich auf uns häuft, sind nicht nur untragbar für die Disziplin jedes gottgeweihten Hauses, sondern auch für den Frieden der gesitteten Gesellschaft! Der Teufel, welcher über die Stunde deiner Geburt gewacht, bedrängt dich sogar noch hinter diesen Klostermauern. Der Allmächtige heißt dich durch meine Stimme zu gehen! Verlaß uns und störe nicht länger den Frieden dieses Hauses! – Halt ein‹, so fügte der Sprecher hinzu, da er gewahrte, daß ich mich anschickte, seine letzten Worte buchstäblich zu nehmen, ›halt ein und vernimm noch dies: das Wohl unserer Heiligen Religion wie auch unserer Bruderschaft haben es erforderlich gemacht, den außerordentlichen Umständen, welche mit deiner unheiligen Gegenwart in diesen Mauern zusammenhängen, ein besonderes Augenmerk zu widmen. In allernächster Zeit hast du den Besuch des Bischofs zu erwarten, – bereite dich nach deinem Belieben darauf vor!‹
Da ich dies für die letzten Worte hielt, derer ich gewürdigt wurde, wollte ich mich schon zurückziehen, wurde indes abermals verhalten, noch zu bleiben. Man begehrte von mir einige Worte zu hören, wie sie mir ein jeder voll Eifer in den Mund legen wollte:
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