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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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nieder. Der Bischof legte mir seine Stola aufs Haupt und fragte gebieterisch: ›Glaube ich an Gott und die Heilige katholische Kirche?‹ Anstatt aber zu antworten, schrie ich auf, stieß die Stola von mir und vertrat mir, von Schmerzen gepeinigt, auf den Altarstufen die Füße. Der Bischof wich vor mir zurück, dieweil der Superior und die anderen sich mir näherten. Solches gesehen, nahm ich all meinen Mut zusammen und wies ohne ein Wort auf die Glassplitter, die man auf den Stufen verteilt hatte, und die mich denn auch wirklich durch meine abgetragenen Sandalen hindurch ins nackte Fleisch geschnitten. Augenblicks gebot der Bischof einem Mönch, diese Splitter mit dem Kuttenärmel hinwegzufegen, welcher Befehl ebenso rasch ausgeführt wurde. Und schon im nächsten Moment stand ich, frei von Schmerz und frei von Furcht, vor ihm, welcher fortfuhr, mich zu befragen: ›Warum betest du nicht in der Kirche?‹
    ›Weil man ihre Tore vor mir versperrt.‹
    ›Wie! Was soll das heißen? In meiner Hand halte ich eine Denkschrift, welche viele Klagen gegen dich enthält, unter deren ersten diejenige sich befindet, daß du nicht an den Andachten in der Kirche teilnimmst.‹
    ›Ich sagte Euch ja, daß man die Tore der Kirche vor mir versperrt. – Und ach! Ich kann sie mir so wenig öffnen wie die Herzen der Bruderschaft! Alles in diesem Hause ist vor mir versperrt.‹
    Der Bischof wandte sich an den Pater Superior, welcher antwortete: ›Die Tore der Kirche sind stets versperrt vor den Feinden Gottes.‹
    Aber der Bischof sagte in der ihm eigenen, unbeirrbaren Ruhe: ›Meine Frage war nicht deshalb so klar gestellt, um eine ausweichende und gewundene Antwort darauf zu erhalten. Hat man die Tore vor diesem armseligen Wesen versperrt? – Habt Ihr ihm das Privileg, sich an Gott zu wenden, versagt?‹
    ›Ich habe so gehandelt, weil ich dachte –‹
    ›Meine Frage ist nicht auf Euer Denken und Euer Glauben gerichtet, sondern ganz klar und einfach auf einen Sachverhalt. Habt Ihr ihm den Zutritt zum Gotteshaus verweigert oder nicht?‹
    ›Ich hatte Anlaß, zu glauben, daß –‹
    ›Ich warne Euch! Solcherlei Antworten könnten mich zwingen, Euch Euren Platz im nächsten Moment mit dem des Objekts Eurer Anklage tauschen zu lassen! Habt Ihr die Tore der Kirche vor ihm versperrt oder nicht? – Antwortet mit Ja oder mit Nein.‹
    Zitternd vor Angst und Wut sagte der Pater Superior: ›Ich tat es. Und mein Tun war gerechtfertigt.‹
    ›Dies mag ein anderes Tribunal entscheiden. Doch scheint Ihr Euch eben der Sache schuldig zu bekennen, welcher Ihr diesen da bezichtigt.‹ Der Pater Superior stand wie betäubt, während der Bischof, nachdem er einen Blick auf das Papier geworfen, sich weiter an mich wandte: ›Und wie verhält es sich damit, daß die Mönche in ihren Zellen keinen Schlaf finden können, und du die Ursache solcher Störung bist?‹
    ›Das weiß ich nicht – das müßt Ihr sie fragen.‹
    ›Besucht dich etwa nicht der Böse jede Nacht? Bringen deine Lästerungen etwa nicht sogar die Ohren jener zum Erbrechen, welche das Mißgeschick haben, in deiner Nähe wohnen zu müssen? Bist du etwa nicht der Schrecken und die Marter dieser ganzen Gemeinschaft?‹
    ›Ich bin‹, so antwortete ich, ›bloß das, zu dem sie mich gemacht haben. Ich leugne nicht, daß in meiner Zelle ungewöhnliche Laute erschallen – doch können jene da wohl besser darüber Rechenschaft geben. Ich werde von einem Geflüster heimgesucht, welches ganz nahe an meinem Bett zu sein scheint. Doch dieses Geflüster scheint auch die Ohren der Brüder zu erreichen, denn sie stürzen jedesmal in meine Zelle und machen sich das Entsetzen, von welchem ich überwältigt bin, zunutze, indem sie die unglaublichsten Erfindungen darauf bauen.‹
    ›So sind denn in der Nacht keine Schreie in deiner Zelle zu hören?‹
    ›Oh ja – die Schreie des Entsetzens.‹
    ›Aber die Lästerungen, die Verwünschungen, welche über deine Lippen kommen?‹
    ›Bisweilen, wenn ich meinen Schrecken nicht mehr bemeistern konnte, habe ich jene Worte wiederholt, welche meinem Ohr eingegeben worden. Doch geschah dies stets mit solchem Entsetzen und Abscheu, daß jeder in meiner Stimme bloß das Echo , nicht aber den Urheber vernommen haben muß. Es war, als nähme man eine Schlange vom Boden auf, starrte einen Augenblick auf all ihre Scheußlichkeit und schleuderte das Reptil dann von sich. Ich rufe die gesamte Bruderschaft zum Zeugen für die Wahrheit meiner Worte! Alle

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