Melmoth der Wanderer
Schreie, die ich getan, alle Ausdrücke, die ich gebraucht habe – sie entsprangen ganz offenkundig dem Abscheu vor jenen höllischen Einflüsterungen, welche man mir ins Ohr gehaucht. Fragt doch die gesamte Gemeinschaft – sie wird Euch bezeugen müssen, daß die Brüder mich jedesmal, da sie in meine Zelle gestürzt kamen, allein und in zitternder Erregung vorgefunden haben. Daß ich das allererste Opfer jener Störungen gewesen bin, über welche man sich nun vergeblich beklagt. Und obschon ich niemals im Stande war, auf die Mittel zu kommen, mit welchen solche Drangsalierung ins Werk gesetzt worden, zögere ich nicht, sie den nämlichen Händen zuzuschreiben, welche meine Zellenwände mit Darstellungen des Teufels beschmiert haben, wovon die Spuren noch jetzt zu sehen sind.‹
Der Bischof verharrte in Schweigen. Schließlich gebot er mir mit kalter Stimme, ich möge mich zurückziehen. Mein äußerer Zustand schien ihn zum erstenmal echt zu erschüttern. Er war ein Mann, welcher so sehr aufging in der Kontemplation jener unbewegten, ja gefrorenen Zeitlosigkeit seiner Pflicht, darin sein Geist Anker geworfen, nicht steigend, nicht fallend, ohne Fortschreiten, ohne Nutzanwendung, daß ihm Dinge der körperlichen Welt lange Zeit vor Augen stehen mußten, ehe sie auch nur den leisesten Eindruck bei ihm hervorriefen: denn seine Sinne waren nahezu erstarrt. So riefen das Schreckliche und das Elend meiner Erscheinung, welche einen Menschen von äußerlichen Gefühlen wohl zuallererst beeindruckt hätten, bei dem Bischof den allerletzten Eindruck hervor. Sie übten ihre Wirkung erst in dem Augenblick auf ihn, da ich mich anschickte, unter qualvollen Schmerzen die Altarstufen hinunterzuhinken, und solcher Eindruck war um so wirksamer, da dies sehr langsam geschah. So rief der Bischof mich zu sich, als sähe er mich erst jetzt und zum erstenmal. ›Wie kommt’s, daß deine Kutte sich in so schandbar zerlumptem Zustand befindet?‹
Bei diesen Worten durchzuckte mich der Gedanke, wie ich nun eine Szene enthüllen könnte, welche den Pater Superior noch stärker demütigen mußte, jedoch ich sagte bloß: ›Es ist dies die Folge der schlechten Behandlung, welcher ich ausgesetzt war.‹ Dann folgten noch mehrere weitere Fragen in Ansehung meines Äußeren, und schließlich sah ich mich gezwungen, die ganze Wahrheit zu bekennen. Der Bischof wurde durch die Einzelheiten, die er da erfahren mußte, bis zu einem unglaublichen Grad in Hitze, ja in einen geradezu lodernden Zorn versetzt. Sobald starre Gemüter sich erst der Emotion hingeben, tun sie dies mit einer unbegreiflichen Vehemenz, weil ihnen einfach alles zur Pflicht geworden, von welchem nur die Leidenschaft (sobald sie auf den Plan tritt) ausgenommen ist. Mag auch sein, daß die Neuheit solcher Emotion für diese Menschen eine höchst angenehme Überraschung bedeutet.
Dies traf nur zu sehr auf unseren guten Bischof zu, welcher, so reinen Herzens wie unbeugsam, von Abscheu, Ekel und Schrecken erfüllt war ob all der Einzelheiten, welche preiszugeben er mich aufgefordert hatte, deren Enthüllung den Pater Superior zittern machte, und die von der Bruderschaft nicht in Abrede gestellt werden konnten. Doch er gewann bald wieder seine Fassung und legte seine gewohnte, starre Kälte an den Tag, denn Gefühle zu haben strengte ihn an, die Starrheit aber war ihm ein vertrautes Element. So gebot er mir, ich möge mich entfernen. Ich gehorchte und begab mich in meine Zelle, deren Wände so kahl waren, wie ich sie geschildert hatte, jetzt aber, obwohl im stärksten Kontrast zu dem strahlenden Schauspiel, welches ich soeben in der Kirche erlebte, dennoch geschmückt zu sein schienen mit den Bildern meines Triumphes. Gleich einer verwirrenden Erscheinung tanzte es mir vor den Augen, um alsbald zu versinken. So ließ ich mich inmitten der Verlassenheit meiner Zelle auf die Knie fallen und flehte zum Allmächtigen empor, er möge des Bischofs Herz zu meinen Gunsten rühren und es all der maßvollen Einfachheit meiner Worte nicht verschließen. Noch in dies Gebet versunken, vernahm ich plötzlich Schritte auf dem Korridor. Dieselben hielten inne, und so verstummte auch ich. Es schien mir, als hätten die Betreffenden mir zugehört und deshalb angehalten. Meine letzten Gebetsworte hatten denn auch, wie sich alsbald herausstellte, auf meine Zuhörer einen tiefen Eindruck gemacht. Wenige Sekunden danach betrat nämlich der Bischof, gefolgt von einigen Würdenträgern und dem Pater
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