Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
Vom Netzwerk:
So nahm ich denn das Paket und begab mich langsam zu der Zelle des Pater Superior. Wie ich es so vor mir trug, betrachtete und befühlte ich es von allen Seiten, wog es wieder und wieder in der Hand und versuchte, schon von seiner Form auf den Inhalt zu schließen. Da durchfuhr mich der erschreckende Gedanke, daß, falls dieser Inhalt aussichtsreich wäre, mir der Bote das Paket wohl mit triumphierender Miene übergeben und mich dadurch gewißlich bewogen hätte, gegen alle klösterliche Vorschrift die Siegel zu lösen, um damit meine Freiheit recht eigentlich zu besiegeln. Wir alle neigen ja dazu, Vorahnungen von unserem Beruf herzuleiten, und da der meine nun einmal der eines Mönches war, konnte es nicht wunder nehmen, daß dieselben recht schwarz erschienen.
    Dann stand ich mit meinem Paket vor der Schwelle des Pater Superior. Ich klopfte, wurde zum Eintreten aufgefordert und konnte, da ich dies gesenkten Blickes tat, bloß die Säume vieler Kutten gewahren, deren Träger sich bei dem Pater Superior versammelt hatten. Ich hielt demselben das Paket mit aller schuldigen Ehrerbietung entgegen, er aber hatte nur einen achtlosen Blick dafür übrig und schleuderte es mir vor die Füße. Einer der Mönche trat herzu, es aufzuheben, doch der Pater Superior verhinderte dies, indem er ausrief: ›Halt ein, laß ihn es aufnehmen!‹ Ich tat es und machte mich auf den Weg zu meiner Zelle, jedoch nicht ohne mich vor dem Pater Superior bis zum Boden verneigt zu haben. In meiner Zelle angelangt, setzte ich mich hin, das fatale Paket noch immer in Händen. Ich war schon im Begriff, es zu öffnen, als eine innere Stimme mir zuraunte: ›Wozu dies alles, da du seinen Inhalt doch schon kennst!‹ so verstrichen mehrere Stunden, ehe ich mich an die Prüfung desselben machte: meine Anrufung der Gerichte war abschlägig beschieden worden. Im einzelnen ging aus den Schriftstücken hervor, daß der Advokat all seine Fähigkeit, seinen Eifer und seine Beredsamkeit bis zum Äußersten in die Waagschale geworfen hatte. So hatte es eine Zeitlang den Anschein gehabt, als neigte der Gerichtshof dazu, meinem Einspruch stattzugeben, allein, auf die Dauer schien solche Präzedenz denn doch zu gefährlich, dieweil der Advokat der Gegenpartei geltend gemacht: ›Wird diesem hier stattgegeben, so werden die sämtlichen Mönche Spaniens ihre Gelübde widerrufen.‹ Hätte denn ein stärkeres Argument zu meinen Gunsten vorgebracht werden können? Ein so allgemeiner Wunsch nach Widerrufung kann doch nur aus drei Wurzeln erwachsen: aus der menschlichen Natur, der Gerechtigkeit und der Wahrheit.«

    Durch die erneute Erinnerung an den verderblichen Bescheid auf seinen Einspruch wurde unser unseliger Spanier dermaßen überwältigt, daß es mehrerer Tage bedurfte, ehe er den Faden seiner Erzählung wieder aufnehmen konnte.

SIEBENTES KAPITEL
    Pandere res alta terra et caligine mersas. [2]

    Doch jetzt, Euer Gnaden, das tollste Ding, –
    Bei meinem Leben, was denn, Butts? –
    Heinrich der Achte

     
    »Von der Verzweiflung, darin die Verwerfung meiner Appellation mich gestürzt hatte, vermag ich Euch kein rechtes Bild zu geben, weil es in meiner Erinnerung verschwimmt. All mein Denken, mein Fühlen, meine Leidenschaft, kurz, was da unser Wesen bewegt, das ganze Leben und die Hoffnung auf die Zukunft, sie waren aufgezehrt, ja ausgetilgt. Schon war ich einem zu vergleichen, der ›im Lande des Vergessens‹ haust. Mehr schwebend denn schreitend bewegte ich mich in jenem Zwischenbereich, dem ›die Finsternis ein Licht geworden‹. Schon türmten sich die Wolken, das Hereinbrechen der tiefsten Nacht anzuzeigen, – da wurde alles Dunkel um mich von einem jähen und ungewöhnlichen Licht durchbrochen.
    Der Garten des Klosters war mir zur beständigen Zuflucht geworden. Ein innerer Antrieb ließ mich diesen Ort, welchen bewußt zu wählen ich nicht mehr im Stande war, aufsuchen, um meinen Mitbrüdern aus dem Wege zu gehen. Eines Abends jedoch fiel mir eine Veränderung auf, welche mit dem Garten vorgegangen war. Der Brunnen war versiegt, und an der Wiederherstellung seines Zuflusses wurde gearbeitet. Da aber die Quelle, welche diesen Brunnen speiste, außerhalb der Klostermauern lag, hatten die Werkleute einen Graben ausheben müssen, der unter der Gartenmauer hindurch ins Freie führte und solcherart die Verbindung mit der Stadt herstellte. Der Durchschlupf wurde freilich bei Tage, da die Arbeiten vorangetrieben wurden, scharf bewacht, zur Nacht aber durch

Weitere Kostenlose Bücher