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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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nachgegangen, ihm die Hoffnung auf Befreiung die Idee eingegeben, sich jenen durch Drohungen gefügig zu machen. Mit der geladenen Schrotflinte nach dem angstschlotternden Wichte zielend, hatte er diesem gedroht, ihn augenblicks niederzuschießen, sollte er auch nur den leisesten Widerstand an den Tag legen. So hatte der Kerl es leiden müssen, an einen Baum gefesselt zu werden. – Dem nächsten Blatt, obschon es nicht minder verunstaltet war, konnte ich immerhin entnehmen, daß mein Bruder wohlbehalten in Madrid eingetroffen war, wo er zum erstenmal von dem Ausgang meines unglücklichen Einspruchs hörte. Die Wirkung dieser Nachricht auf einen so impulsiven, lebhaften und leidenschaftlichen Jüngling wie Juan es war, ließ sich leicht an der Unregelmäßigkeit jener Zeilen ablesen, in denen er solche Wirkung vergeblich zu schildern versuchte. Im weiteren lautete der Brief wie folgt: »Zunächst tun zweierlei Dinge Not: Geld und Schutz vor Entdeckung. Den letzteren bietet mir die Verkleidung, welche ich angelegt habe. Was aber das erstere betrifft, so weiß ich noch nicht, wie ich es mir beschaffen soll. Meine Flucht ging so überstürzt vor sich, daß ich keinerlei Mittel bei mir trug und gezwungen war, nach dem Eintreffen in Madrid meine Uhr und meine Ringe zu Geld zu machen, nur um mir andere Kleider beschaffen und mein Leben bestreiten zu können. Gäbe ich mich zu erkennen, so stünde mir jede Summe zur Verfügung, allein, dies wäre verhängnisvoll. Die Kunde von meinem Aufenthalt in Madrid würde innerhalb kürzester Frist zu meines Vaters Ohren dringen. So muß denn ein Jude meine Zuflucht sein. Bin ich dann aber im Besitz der nötigen Mittel, so zweifle ich kaum mehr daran, Deine Befreiung ins Werk setzen zu können. Durch den sonderbarsten Zufall habe ich bereits über eine Person in dem Kloster sprechen hören, welche möglicherweise nicht abgeneigt wäre, uns ...‹

     
    Hier klaffte eine große Lücke in dem Brief, welcher offensichtlich nicht in einem Zuge geschrieben worden war.
    ›Mach Dir um meinethalben nicht die leisesten Sorgen, denn es ist unmöglich, daß ich entdeckt würde. Schlag Dir sämtliche Befürchtungen aus dem Kopf, aber komm allnächtlich zu der Grabentür, weil ich jede Nacht neue Nachrichten für Dich haben werde. Mein Fleiß ist unermüdlich, mein Eifer nicht zu löschen, ich brenne davon und bin mit Leib und Seele bei der Sache. Nochmals: ich verbürge mich mit meinem Leben, daß ich diesen Ort nicht verlassen werde, ehe Du nicht frei bist. – Verlaß Dich auf mich, Alonzo. ‹ Ich will Euch, Senhor, mit der Beschreibung meiner Gefühle verschonen – ach, was waren das nicht für Gefühle! Möge Gott mit die Hingabe des Herzens vergeben, mit welcher ich diese Zeilen geküßt, und mit der ich die Hand des Schreibers hätte segnen mögen, des Schreibers dieser Zeilen, die würdig waren, dem Abbild des einen großen Opfers geweiht zu werden.
    Schon der folgende Abend sah mich an der Tür. Aber kein Papier zeigte sich unter derselben, obschon ich auf dessen Auftauchen wartete, bis die tiefer werdende Dunkelheit es mir unmöglich machte, etwas zu sehen. Am nächsten Abend jedoch hatte ich mehr Glück: diesmal zeigte sich die erwartete Botschaft, die verstellte Stimme flüsterte ihr ›Alonzo‹, und dies Geflüster war mir die süßeste Musik, welche jemals an mein Ohr gedrungen. Das Blatt wies nur wenige Zeilen auf (so daß es mir leichtfiel, die Nachricht zu verschlucken , nachdem ich ihre Worte aufmerksam gelesen hatte). Sie lauteten: ›Nun habe ich doch noch einen Jüden ausfindig gemacht, welcher mir eine beträchtliche Summe vorschießen will. Ergibt zwar vor, mich nicht zu kennen, doch bin ich sicher, daß dem nicht so ist. – Doch seine wucherische Gier und die Unrechtmäßigkeit seiner Handlungsweise sind mir Bürgschaft genug. Schon in wenigen Tagen werde ich über jene Mittel verfügen, derer ich zu Deiner Befreiung bedarf, und überdies hat mir ein günstiger Stern den Weg gezeigt, diese Mittel auf die rechte Weise anzuwenden. Nämlich, es gibt da einen Schurken –‹
    Dies war das Ende der Nachricht. Während der vier nächstfolgenden Abende erregte aber das Stadium welches die Wiederherstellungsarbeiten erreicht hatten, so große Neugierde in dem Kloster (und es ist ja nur zu leicht, in einem Kloster Neugierde zu erregen), daß ich es nicht mehr wagte, an dem Graben zu verweilen, da ich fürchtete, den Verdacht meiner Mitbrüder zu wecken.
    Am fünften Abend

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