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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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besser zu ergehen. ›Ist denn die Lampe wirklich schon am Ausbrennen?‹ flüsterte er mir zu.
    ›Du siehst es doch.‹
    ›Versuch sie noch ein wenig am Leben zu halten.‹
    ›Nichts lieber als das. Aber wenn es mir nicht gelingt, was dann?‹
    ›Dann sind wir verloren‹, sagte er und stieß eine Verwünschung aus, die, so dachte ich, im nächsten Moment das Gewölbe über uns zum Einsturz bringen mußte. Doch ist eines gewiß, Senor: Nichts frommt einer verzweifelten Lage besser als ein verzweifeltes Gefühl, und so gaben mir denn auch die Blasphemien jenes Halunken eine Art schrecklichen Vertrauens in seinen Mut. Unter beständigem Fluchen schritt er mir voran, und ich folgte ihm, indem ich das verlöschende Licht in meiner Hand mit einer Sterbensangst behütete, welche noch gesteigert wurde durch die Furcht, meinen entsetzlichen Führer noch mehr zu erzürnen. Ungeachtet all meiner Vorsicht wurde aber das Licht in meiner Hand immer kümmerlicher, begann zu flackern, blakte noch einmal mit fahler Flamme empor, als lächelte die bare Verzweiflung mir zu, – und war erstorben. So folgte ich meinem Gefährten in dieser tiefsten aller Finsternisse, folgte ihm auf Händen und Knien, weil ich nicht länger aufrecht zu gehen vermochte. Aber schon im nächsten Moment kam der endgültige, hoffnungslose Stillstand. Ich kauerte jetzt ganz nahe hinter dem verzweifelnden Begleiter und war seinem Geschrei und Getobe ein so heftiges Echo, daß er dadurch wieder zur Besinnung gebracht wurde. Unter neuerlichem Fluchen brachte er mich zum Schweigen. Dann versuchte er zu beten, allein, seine Gebete klangen so sehr wie Flüche und seine Flüche so sehr wie Gebete zum Leibhaftigen, daß ich, von Grauen gewürgt, ihn beschwor, doch endlich zu schweigen. Dies tat er denn auch, und eine halbe Stunde lang sagte keiner von uns auch nur ein Sterbenswort. Wir lagen nur nebeneinander wie jene zwei hechelnden Hunde, die, wie ich irgendwo gelesen habe, sich neben dem Wild, das sie zu Tode gehetzt, selber zum Sterben ausgestreckt hatten, das Fell ihres Opfers nur noch mit ihrem vergehenden Atem erreichend, doch nimmermehr mit den Zähnen.
    Doch sollten jene Augenblicke, welche mir wie eine Ewigkeit erschienen, bald ein Ende haben. Mein Kompagnon sprang auf und stieß einen Freudenschrei aus. Schon glaubte ich, er sei vollends von Sinnen gekommen, allein, davon war er weit entfernt. ›Licht!‹ rief er aus, ›ich sehe Licht, das Licht des Himmels! Wir stehen unmittelbar unter der Falltür, ich sehe das Licht durch die Fugen dringen!‹ Denn inmitten aller Schrecknisse unserer Lage hatte er niemals aufgehört nach oben zu spähen, da er doch wußte, daß noch der geringste Lichtschimmer, dem wir uns näherten, in der tiefen, uns umhüllenden Finsternis sichtbar sein müßte. Und er hatte recht behalten: aufspringend gewahrte auch ich jenen Lichtschimmer. Die Hände gefaltet, mit wortlos geöffneten Lippen, so standen wir da und starrten aufgerissenen Blickes nach oben. Eine dünne, grauschimmernde Linie aus Licht zeigte sich über unseren Häuptern. Sie wurde mit zunehmendem Tageslicht breiter und heller – wahrhaftig ein Licht des Himmels! Und auch der Morgenwind wehte jetzt durch die Ritzen der Falltür, die da hinauf in den Garten führte, zu uns herab.«

NEUNTES KAPITEL
    »Obschon Leben wie Freiheit nun so nahe vor uns lagen, war unsere Situation noch immer äußerst bedenklich. Das Licht des Morgens, unsrer Flucht zwar hilfreich, mochte auch so manches Auge öffnen, diese zu bemerken. Man durfte also keine Zeit mehr verlieren. Mein Gefährte schlug vor, er werde als erster hinaufsteigen, und ich wagte ihm nicht zu widersprechen. Ich war von recht großer Statur, doch er war viel stärker als ich. Er stieg auf meine Schultern, und während ich sein Gewicht unter Zittern ertrug, brachte er es fertig, die Falltür hochzustemmen, so daß sich das volle Licht des Tages über uns ergoß. Doch schon im nächsten Moment ließ er von seinem Vorhaben ab und sprang mit einer Wucht zu Boden, welche mich mit sich riß. Dabei rief er aus: ›Die Werkleute sind schon draußen, sie machen sich soeben an die Arbeit! Der Garten ist schon ganz voll von ihnen, und da sie nun einmal hier sind, werden sie den ganzen Tag im Garten bleiben! Diese verfluchte Lampe, sie hat uns den Garaus gemacht! Hätte sie nur ein paar Sekunden länger durchgehalten, so wären wir rechtzeitig oben gewesen, über die Mauer gewesen, in Freiheit gewesen! Und jetzt ...‹

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