Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
Vom Netzwerk:
Während er dies hervorstieß, warf er sich, vor Wut und Enttäuschung zitternd, zu Boden.
    Für mich war diese Neuigkeit nicht so schrecklich. Daß wir nun eine befristete Enttäuschung erlebten, lag zwar auf der Hand, doch waren wir aus der schrecklichsten aller Ängste heil hervorgegangen, nämlich, in der Finsternis umherirrend, dem Hungertod preisgegeben zu sein. Und überdies setzte ich ein unbegrenztes Vertrauen in die Geduld und den Eifer meines Bruders Juan. Ich war sicher, er werde, ganz wie er schon diese Nacht auf uns gewartet hatte, auch noch weitere Nächte auf uns warten.
    Plötzlich verfinsterte sich der Lichtschimmer. Ich konnte mir dies nicht erklären, bis ich einen Wolkenbruch zu spüren bekam, wie er heftiger vielleicht niemals zuvor über die Erde hereingebrochen ist, denn er bahnte sich seinen Weg sogar durch die Ritzen der Falltür, so daß ich in den nächsten fünf Minuten bis auf die Haut durchnäßt war. Diesem Platzregen folgte ein Donnergetöse, welches mich fürchten ließ, Gott selbst verfolge mich bis in die Abgründe der Erde, darein ich mich verkrochen hatte, um Seinem strafenden Zorn zu entgehen. Meinem Gefährten hingegen entlockte das zürnende Grollen nur eine ganze Kette lästerlicher Flüche, die das Toben da draußen noch übertönten, dieweil auch er sich bis auf die Haut durchnäßt fühlte von jenem Sturzbach, welcher das Gewölbe zu überfluten begann, so daß uns das Wasser bald bis an die Knöchel reichte. Schließlich machte er den Vorschlag, wir sollten uns an einen Ort zurückziehen, welchen er kenne und der uns genügenden Schutz bieten würde. Dieser Platz, so fügte er hinzu, liege nur wenige Schritte von unserem jetzigen Aufenthalt entfernt, so daß wir den Rückweg hierher unschwer finden könnten. Ich wagte keine Widerrede und folgte ihm bis zu einer dunklen Nische, welche sich von dem übrigen Gewölbe bloß durch die Reste einer Tür unterschied. Sobald wir darin waren, sanken wir, an Körper wie Seele erschöpft, auf den harten Boden hin. Keiner sprach ein Wort, und es befiel uns ein so unwiderstehliches Schlafbedürfnis, daß es mir zutiefst gleichgültig war, ob dieser Schlaf nun mein letzter sein würde oder nicht.
    Doch nicht einmal solcher Ruhe zu pflegen sollte mir lange gegönnt sein: mein Gefährte lag ja schlafend neben mir. Schlafend! Großer Gott! Was war es denn um solchen Schlaf? Ach, er war so beschaffen, daß man in seiner Nachbarschaft kein Auge, nein schlimmer noch, kein Ohr zu schließen vermochte! Denn mein finsterer Kompagnon sprach in seinem Schlaf so laut und unablässig vor sich hin, als stünde er inmitten seiner täglichen Verrichtungen. So wurde ich unwillentlich zum Zeugen seiner geheimsten Träume. Zwar wußte ich schon, daß er seinen Vater umgebracht hatte, doch was ich bisher noch nicht gewußt hatte, war, daß die Visionen dieses Vatermords ihn bis in seine Träume verfolgten. Zunächst wurde ich aus dem Schlaf gerissen durch Laute, welche ebenso entsetzlich waren wie jene, die mir auf meinem Bett im Kloster an die Ohren gedrungen. Noch aber empfand ich diese Laute bloß als Störung, ohne ihren Sinn zu verstehen, weil ich ja selbst noch halb im Schlaf befangen war. Dann wurden sie vernehmlicher, verdoppelten ihre Stärke, und dann rissen mich die Schrecknisse meiner gewohnten Ideenverbindungen vollends aus dem Schlummer. Ich bildete mir ein, der Pater Superior mit der ganzen Bruderschaft wären mit lodernden Fackeln hinter uns her, ja ich vermeinte, deren Feuer in meine Augen eindringen zu spüren. So schrie ich vor Entsetzen auf und rief: ›Laßt mir das Augenlicht, blendet mich nicht! Treibt mich nicht in den Wahnsinn, und ich will alles gestehen!‹
    ›Gestehe!‹ murmelte eine tiefe Stimme neben mir. Hellwach fuhr ich vom Boden empor, doch es war nur mein Schlafgenosse gewesen. Ich erhob mich auf meine Füße und blickte auf ihn nieder, wie er da vor mir lag. Schwer atmend wälzte er sich auf seinem Lager hin und her, als wäre es nicht von Stein, sondern von Daunen gemacht. Der Körper dieses Mannes schien von der Härte des Granits zu sein. Die scharfkantigen Steine, die Härte des Bodens, all die rohen Einkerbungen dieses Bettes übten keinerlei Wirkung auf ihn. So hätte er also ruhig schlafen können, doch seine Träume kamen von innen .
    Ich hatte schon viel über die Schrecken gehört, welche das Sterbebett der Schuldbeladenen umgeben, doch schienen mir jene Schrecken nicht so schwer zu wiegen wie das, was ich

Weitere Kostenlose Bücher