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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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nunmehr anzuhören gezwungen war, nicht so schwer wie das Entsetzen eines schuldbeladenen Schlafs. Wie ich schon erwähnt habe, begann mein Begleiter zunächst, leise vor sich hin zu murmeln, doch konnte ich in solchem Gemurmel auch Worte unterscheiden, welche mich nur zu bald an das erinnerten, was ich so sehr zu vergessen wünschte, zumindest für die Zeit unseres Beisammenseins, ›Ein alter Mann?‹ so sprach er vor sich hin, ›nun ja – wohlan – so weniger Blut wird in ihm sein. Die grauen Haare? – Ach, was tut’s, so hat, was ich begangen, wohl geholfen, sie grau zu machen, – hätt’ er sie lieber gleich mitsamt den Wurzeln ausgerissen! – Weiß, sagst du, sind sie? – nun gut, so sollen sie noch heute nacht gefärbt vom Blute sein und nicht mehr weiß. Ja – er wird am Tage des Gerichts sie mir entgegenhalten, als wären sie die Fahne der Verdammnis. Wird kommen an der Spitze eines Heeres – selbst das der Märtyrer ist nicht so groß – des Heeres derer, welche durch die Hand der eigenen Kinder umgekommen sind. Was tut es schon, ob man die eigenen Eltern durch Dolchstoß mordet, ob durch Gurgelschnitt! – Ich hab’ schon eine durch und durch geschnitten, hinunter bis zum Knochen, – doch was den nächsten Fall betrifft – so soll es schmerzlos gehen – ich weiß es, spür’ es schon.‹ – Und er lachte auf, erschauderte und wälzte sich auf seinem steinernen Bett herum.
    Zitternd vor unaussprechlichem Entsetzen versuchte ich, ihn aus dem Schlaf zu rütteln. Ich schüttelte seine muskulösen Arme, ich wälzte ihn auf den Rücken, aufs Gesicht, doch nichts vermochte ihn aus seiner Betäubung zu wecken. Es war bloß, als schaukelte ich ihn in seiner steinernen Wiege. Er aber fuhr fort zu sprechen: ›Und stell den Beutel sicher – all das Geld. Wir kennen doch die Lade in dem Schrank, darin es liegt – doch vorher kommt noch er wegen der Ruhe seines Schlafs? – Ha! – Ha! – Daß Schurken solche Tröpfe werden können! Nun denn, ich muß es tun, es ist ja nur ein kurzer Kampf mit ihm, mit mir – er mag verdammt sein, doch ich bin’s . – Schscht – wie die Stufen knarren – sie werden ihm doch nicht verraten, daß der Fuß des eigenen Sohnes sie erklimmt? – Oh nein, sie wagen’s nicht, sie würden von den Steinen dies Gemäuers der Lüge noch geziehen. – Warum hast du die Angeln nicht geölt? – Doch nun ans Werk! – Wie tief er schläft. – ja, und mit welcher Ruhe! – Desto ruhiger, desto bereiter für den Himmel. – Jetzt – jetzt – das Knie auf seine Brust – wo hab’ ich nur mein Messer? Wo ist mein Messer, wo? – Ich bin verloren, wenn er mich jetzt anblickt. Das Messer, – ah, ich Feigling! Das Messer, – tut er die Augen auf, bin ich geliefert! Her mit dem Messer, ihr verfluchten Memmen, – wer untersteht sich, hier zurückzuschrecken, da ich doch meines Vaters würge? Und da – und da – und da , – sogar das Heft ist rot vom Blut des Alten, – nein, ich vermag es nicht, dies Grauhaar ist schon ganz von Blut verklebt, – noch fühl’ ich’s rauh auf meinen Lippen kratzen von seinem letzten Kuß – ich war ein Kind – und hätt’ ihn damals nicht um eine Welt ermordet, – und jetzt? – Was bin ich jetzt? Ha! ha! ha! Laßt Judas seine Silberlinge gegen meine schütteln! Verriet er seinen Heiland, hab’ ich den eignen Vater umgebracht, – so Silber gegen Silber, Seele gegen Seele! Doch habe ich für meine mehr gekriegt – er war so blöd, die seine bloß für dreißig hinzugeben. Für wen von uns das Höllenfeuer heißer brennen wird? – Was tut’s, wir werden sehen!‹
    Während mein Schlafgenosse wieder und wieder so entsetzliche Dinge hervorstieß, rief ich, ja schrie ich ihm ins Ohr, um ihn aufzuwecken. Schließlich wurde er mit einem Auflachen munter, welches so schrecklich war wie die Gesprächsfetzen seiner Träume. ›Wohlan, was hast du? Ich habe ihn erschlagen – dies hast du längst gewußt. Du, der sich meinen Händen für dieses gottverfluchte Unterfangen anvertraute, das unser beider Leben kosten kann, – du kannst mein Selbstgespräch jetzt nicht ertragen? Du hörst doch nichts, was du nicht längst gewußt?‹
    ›Und dennoch kann ich’s nicht!‹ so rief ich schreckensbleich, geschüttelt vom Entsetzen. ›Und wär’s auch ums Gelingen meiner Flucht, ich könnte solche Stunde wie die letzte nicht noch einmal ertragen! Die Aussicht, hier den ganzen Tag in Abgeschlossenheit, in Hunger, Finsternis und giftigen Dünsten

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