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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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zitternder Hand an das Türschloß hielt. Während seines abermaligen Versuches beredeten wir uns, doch geschah dies unter solcher Furcht, daß wir dabei kaum zu flüstern wagten. ›Still! – War da nicht etwas?‹
    ›Nein – es war bloß der Widerhall von diesem knarrenden, widerspenstigen Schloß. – Kommt da nicht jemand?‹
    ›Nein – es ist nichts.‹
    ›Wirf einen Blick in den Gang!‹
    ›Dann kann ich dir aber nicht leuchten.‹
    ›Macht nichts – wenn man uns nur nicht entdeckt.‹
    ›Und wenn uns nur die Flucht gelingt‹, erwiderte ich mit einer Beherztheit, welche ihn zu überraschen schien. Dabei stellte ich die Lampe auf den Boden und vereinte meine Anstrengungen mit den seinen, damit der Schlüssel sich endlich herumdrehen ließe. Es knirschte, doch der Schlüssel verharrte in seiner Stellung.
    ›Wir sind verloren‹, rief er aus. Du bist verloren! Um drei Uhr kommt ein weiterer Mönch, um hier seine Einkehrstunde zu absolvieren.‹ Er senkte die Stimme und fügte mit unaussprechlichem Entsetzen hinzu: ›Ich höre schon seine Schritte im Gang!‹
    Er hatte diese Worte kaum gesagt, da drehte sich der Schlüssel, den immer wieder zu probieren ich nicht nachgelassen hatte, im Schloß herum, die Tür ging auf, und der Eingang lag frei vor uns. Dies gesehen, hatte mein Kompagnon sich auch schon in der Gewalt, und im nächsten Augenblick waren wir im Gang verschwunden. Unsere erste Sorge galt dem Schließen und Versperren der Tür, und während wir damit beschäftigt waren, entdeckten wir zu unserer Genugtuung, daß niemand die Kirche betreten, niemand sich ihr genähert hatte. Unsere Angst hatte uns einen Streich gespielt. So traten wir von der Tür zurück, blickten einander mit einer atemlosen, halb und halb wiederbelebten Zuversicht an und machten uns daran, unseren Weg durch die Grabgewölbe in aller Stille und Sicherheit zu finden. In Sicherheit! Großer Gott! Noch heute jagt mir der Gedanke an jenes unterirdische Umherirren inmitten der Klostergrüfte und in Begleitung eines Vatermörders einen Schauder über den Rücken.
    Mein Gefährte wandte sich einmal nach rechts, dann wieder nach links, ging geradeaus weiter, schritt denselben Weg wieder zurück, verharrte auf der Stelle (und dies war das Schrecklichste!), schritt abermals weiter und probierte es schließlich in einer anderen Richtung, wo der Gang so niedrig war, daß ich meinem Führer nur noch auf allen vieren zu folgen vermochte und selbst in dieser Haltung beständig mit dem Kopf Segen die roh gemauerte Decke stieß. Wir waren schon ziemlich lange so weitergekrochen (zumindest schien es mir so, denn die Minuten sind wie Stunden im Nachtbuch des Schreckens, der ein Tagebuch nicht kennt), als jener Gang so eng und niedrig wurde, daß ich nicht weiter vorzudringen imstande war und mich fragte, wie es mein Kompagnon wohl fertigbrachte. Ich rief ihm zu, erhielt aber keine Antwort. Auch konnte ich in der Enge und Finsternis dieses Ganges, nein, Loches, keine zehn Zoll weit sehen. Überdies hatte ich auch noch auf die Lampe zu achten, welche ich fürsorglich und mit zitternder Hand vor mir hielt, und die nunmehr in der dumpfen und feuchten Luft immer trüber zu flackern begann. Mit einem Mal stieg mir das Entsetzen würgend in die Kehle. Umschlossen von der feuchten Dumpfheit dieser Enge und der Nässe des Gemäuers, wurde mein ganzer Körper wie von einem Fieber durchschüttelt. Abermals rief ich in die Dunkelheit, aber keine Stimme gab mir Antwort.
    Die Lampe in meiner Hand brannte nun kleiner und kleiner, und dieses Ersterben ließ meinen Blick nicht mehr los. Und obwohl ich wußte, daß das gebannte Hinstarren auf das letzte, verlöschende Flackern in meiner Hand mich das Leben, ja mehr als das, meine Befreiung kosten konnte, starrte ich dennoch wie ein Blödsinniger darauf und bewegte mich nicht. Schwächer und schwächer wurde das Licht – und erst sein Ersterben brachte mich wieder zu Sinnen: Ich richtete mich auf und spähte um mich.
    Ein letztes, grelles Aufflackern ließ mich eine Bewegung ganz in meiner Nähe wahrnehmen. Ich zuckte zusammen und muß aufgeschrien haben, ohne dessen gewahr zu werden, denn eine Stimme sagte zu mir: ›Schscht – sei still! Ich hab’ dich bloß alleingelassen, um die Gänge zu untersuchen. Ich habe jetzt den Weg zu der Falltür gefunden. Wenn du nur ruhig bleibst, wird noch alles ins Lot kommen.‹ So schritt ich denn unter Zittern und Zagen weiter, und auch meinem Begleiter schien es nicht

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