Melmoth der Wanderer
dieses Wüten des Elementes herbei. Ich bin überzeugt, daß zwanzig tüchtige, mit ihrem Handwerk wohlvertraute Männer den Brand alsbald hätten ersticken können. Aber diese da, sobald sie an ihren Pumpen hätten ausharren sollen, lagen allesamt auf den Knien.
Zuletzt begannen die Flammen, sich auch noch in den Hof herabzufressen, und dies war der Anfang unbeschreiblicher Schreckensszenen. Die armen Teufel nämlich, welche man zum Feuertod verurteilt hatte, bildeten sich plötzlich ein, ihre Stunde habe geschlagen. Verblödet von der langen Kerkerhaft und so gottergeben, wie das Heilige Offizium es nur wünschen konnte, wurden sie, da sie die Flammen näher und näher kommen sahen, von Wahnvorstellungen übermannt und begannen gellend zu schreien: ›Verschont mich – so verschont mich doch! – Erspart mir all diese Schmerzen!‹ Andere, vor den herankriechenden Flammen niederkniend, riefen diese wie Heilige an. Sie bildeten sich ein, all jene, denen sie gehuldigt, nun erscheinen zu sehen, all die Heiligen Engel, ja sogar die Allerheiligste Jungfrau –, sie in Flammen herabsteigen zu sehen, um die von dem Brandpfahl hinscheidenden Seelen in ihre Arme zu schließen. So ward ihr wahnwitziges Halleluja halb eine heulende Hoffnung, halb eine jubelnde Angst. Und inmitten all dieser Szenen einer blindwütigen Raserei behaupteten die Inquisitoren ihren Platz, wobei ihre standhaft-feierliche Schlachtordnung wunderbar anzuschauen war. Wie sehr auch die Flammen um sich greifen mochten, keiner dieser Männer zog auch nur einen Fuß zurück, bewegte auch nur einen Finger oder zuckte gar mit der Wimper. Eiserne, herzlose Pflichterfüllung schien das einzige Prinzip, der einzige Sinn ihres Lebens zu sein. So standen sie wie eine in undurchdringliches Eisen gehüllte Phalanx. Brüllte der Feuerorkan besonders stark auf, so bekreuzten sie sich kalten Blutes. Schrien aber die Gefangenen auf, so bedeuteten ihre Richter ihnen, zu schweigen. Wagte indes eines der Opfer, zu beten, so rissen sie es von den Knien empor, indem sie auf die Müßigkeit solchen Gebetes in einem so kritischen Moment hinwiesen, sowie auf den Umstand, daß die Flammen, welche der Beter von sich abwenden wollte, an jenem Ort, von dem es kein Entrinnen mehr gibt, nur noch heißer brennen würden.
In eben, jenem Augenblick aber wurde mein Blick inmitten des Rudels der Gefangenen von einem außergewöhnlichen Schauspiel gefesselt. Mag sein, daß gerade in den Momenten der tiefsten Verzweiflung unsere Einbildungskraft ihren höchsten Punkt erklimmt, – all jene, die da gelitten habe, wissen und empfinden dies wohl am besten. Im Widerschein der Feuersbrunst wurde der Turm der Dominikanerkirche nämlich so deutlich sichtbar wie in der Mittagssonne, da er sich ja ganz nahe dem Gefängnis der Heiligen Inquisition erhob. Und obschon die Nacht von einer vollkommenen Schwärze war, leuchtete der Flammenschein doch so grell, daß das Kupfer des Turmhelmes gleich einem Meteor erstrahlte. Man konnte so deutlich ablesen, um welche Uhr es war, als hätte man eine Fackel vor die Zeiger gehalten. Und dies gelassen-schweigende Fortschreiten der Zeit inmitten aller nächtlichen Konfusion des Entsetzens –, inmitten dieses Schauspiels unablässiger und sinnloser Aufgewühltheit der Körper wie der Seelen, hätte mir gar wohl den tiefsten und singulärsten Eindruck vermittelt, wäre in jenem Moment meine Aufmerksamkeit nicht von einer menschlichen Gestalt gefesselt worden, welche auf einem Wimperge des Kirchturms Fuß gefaßt hatte und von so luftiger Warte die Szene mit steinerner Ruhe überschaute. Es war unverkennbar die Gestalt dessen, der mich in den Kerkerzellen der Heiligen Inquisition heimgesucht hatte! Die Hoffnung, mich hier und jetzt rechtfertigen zu können, machte mich alles andere vergessen, ich wandte mich schreiend an die Wachen und wies auf die Gestalt, welche in dem grellen Feuerscheine von jedermann erblickt werden mußte. Aber keiner der Wächter fand die Zeit, jener Erscheinung auch nur einen einzigen Blick zu gönnen. In eben dem Moment aber gab der uns gegenüberliegende Torbogen des Hofes nach und krachte zu einem Trümmerhaufen vor unseren Füßen zusammen, wobei er uns bei seinem Fall mit einem wahren Flammenozean überschüttete. Ein einziger, gellender Aufschrei von aller Lippen war die Antwort. Gefangene, Wachen und Inquisitoren duckten sich zu einem wirren Knäuel des Entsetzens zusammen.
Schon in der nächsten Sekunde hob sich aus dem von den
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