Melmoth der Wanderer
zu können, woraus ich den weisen Schluß zog, es könne sich hier nur um das Buch eines Magiers handeln, und es unverzüglich und voll schuldbewußten Entsetzens wieder zuklappte. (Wie sich herausstellen sollte, war es eine hebräische, mit den samaritanischen Vokal-Punkten versehene Bibel.) Auch ein Messer lag auf dem Tisch, und an eines der Tischbeine war ein Hahn gebunden, welcher durch lautes Krähen seinem Mißbehagen über diese Freiheitsbeschränkung Ausdruck gab.
Eine trübe Lampe, die von der Decke herabhing, beleuchtete die Szenerie und setzte mich in den Stand, die nahezu unmittelbar folgenden Vorgänge zu beobachten. Das Zimmer betrat nämlich jetzt ein Mann in mittleren Jahren, dessen Gesichtszüge selbst dem Auge eines Spaniers auffallen mußten, so dunkel und buschig waren die Brauen, so auffallend sprang die Nase vor, und so eigentümlich schimmerten die Augäpfel. Er kniete vor dem Tische nieder, küßte das auf demselben liegende Buch und las einige Verse daraus, welche, so vermeinte ich, irgendein entsetzliches Opfer einleiten mochten. Danach prüfte er die Schärfe des Messers, kniete abermals nieder, sprach irgendwelche Worte, die ich nicht verstand (da sie in der Sprache jenes Buches gesagt wurden), und rief schließlich nach jemandem, der Manasse-ben-Salomon zu heißen schien. Allein, es kam keine Antwort. Der Mann seufzte, strich sich über die Augen wie jemand, der die eigene Vergeßlichkeit vor sich selbst entschuldigen möchte, und rief dann den Namen ›Antonio‹.
Gleich darauf trat ein Jüngling ein und fragte: ›Ihr habt nach mir gerufen, Vater?‹ – Indem er dies aber sagte, musterte er mit beklommenem Blick die merkwürdigen Zurüstungen in dem Zimmer.
›Ich habe nach dir gerufen, mein Sohn. Weshalb hast du keine Antwort gegeben?‹
›Ich habe Euch nicht gehört, Vater ... will sagen, ich glaubte, Ihr riefet nach jemand anderem. Ich hörte bloß einen Namen, mit welchem Ihr mich noch nie gerufen habt. Da ihr aber ›Antonio‹ riefet, gehorchte ich und eilte sofort herbei.‹
›Aber gerade jener Name ist es, unter welchem du künftig gerufen und gekannt sein mußt – wenigstens von mir selbst.‹ Beide Arme seines Sohnes ergreifend, sagte er: ›Mein Sohn, ich bin es, dem du dein Leben verdankst. Nun aber kannst du mir diese meine Gabe vergelten – mein Leben steht jetzt in deiner Macht. Du glaubst ja, ich sei ein Katholik – ich habe dich als einen solchen aufgezogen, auf daß unser beider Leben geschont werde in einem Land, wo das Bekenntnis zum wahren Glauben unweigerlich jedem von uns dies Leben gekostet hätte. Ich gehöre jenem unseligen Volke an, das aller Orten gebrandmarkt und verrufen ist, und dessen Fleißigkeit und Begabung dies Land, das uns in Acht und Bann getan, dennoch die Hälfte seines Wohlstandes verdankt. Ich bin ein Jude, ›Einer aus dem Volke Israel‹, aus jenem Volke also, über das sogar ein christlicher Apostel bekannt hat, es kämen ihm zu ›die Gotteskindschaft, die Macht und die Herrlichkeit und der Bund mit dem Herrn und die Gesetzestafeln und der Ratschluß und die Hilfe Gottes und die Verheißungen‹. Jenem Volk, ›aus welchem im Fleische hervorgehn wird‹ –‹ er hielt inne, als fiele es ihm schwer, in einem Zitat fortzufahren, welches seinen Gefühlen zuwiderlief, und setzte dann fort: ››der Messias, und zwar der leidende wie der triumphierende‹ [7] . Ich habe dich bei deiner Geburt mit dem Namen Manasse-ben-Salomon gerufen, mit einem Namen, von dem ich fühlte, daß er mir zu jener Stunde im tiefsten Herzensgrunde gelegen, und von dessen Widerhall aus solcher Tiefe ich beinahe schon gehofft, daß du ihn vernehmen würdest. Es war ein Traum, ich weiß – und doch, mein geliebter Sohn, willst du ihn nicht zur Wirklichkeit verkehren? Der Gott deiner Väter wartet darauf, dich zu umarmen – und dein eigener Vater, er fleht dich an, den Glauben des Erzvaters Abrahams anzunehmen, diesen Glauben des Propheten Moses und all der anderen heiligen Propheten, welche nun bei Gott sind und in diesem Moment herniederblicken auf deine Seele, wie sie da schwankt zwischen der abscheulichen Götzendienerei der einen, welche nicht nur den Sohn des Zimmermanns anbeten, sondern auch die Ruchlosigkeit haben, dich zum Kniefall vor dem Bildnis jenes Weibes zu zwingen, das seine Mutter gewesen und unter dem blasphemischen Namen einer Mutter Gottes angebetet werden muß, – zwischen solchem Götzendienst und der reinen Stimme jener anderen,
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