Melmoth der Wanderer
Brudermordes (›Oh nein – niemals!‹ schrie ich auf, doch keiner achtete darauf), sowie der Verschwörung mit dem Feinde aller Menschen gegen die Gemeinschaft, darin Ihr Euer Leben Gott geweiht, und gegen die Autorität des Heiligen Offiziums. Ferner des Verkehrs mit einem höllischen Sendboten jenes Erzfeindes von Gott, den Menschen und Eurer eigenen, abgefallenen Seele, des Verkehrs in Eurer Zelle inmitten des Gefängnisses dieses Heiligen Offiziums. Schuldig gesprochen durch Euer eigenes Geständnis, dem Bösen Geist Zutritt gewährt zu haben, seid Ihr hiermit überantwortet der ...‹
Weiter hörte ich nichts mehr. Ich schrie auf, doch mein Schrei ging in dem Gemurmel der Offizialen unter. Das über den Richterstuhl geneigte Kruzifix tanzte und schwankte mir vor den Augen. Die Lampe, die von der Decke herabhing, schien zwanzig Lichter auf einmal zu versenden. Beschwörend hob ich die Arme – sie wurden wir von stärkeren Händen hinuntergedrückt. Ich wollte etwas sagen – doch der Mund wurde mir verschlossen. So ließ ich mich auf die Knie fallen – und auf den Knien wollte man mich schon hinauszerren, als ein hochbetagter Inquisitor den Offizialen ein Zeichen gab, so daß diese für kurze Zeit von mir abließen, während der greise Sprecher die folgenden Worte an mich richtete – Worte, welche durch die Lauterkeit dessen, der sie aussprach, nur um so fürchterlicher wurden.
Die Worte des Inquisitors lauteten: Nichtswürdiger, abgefallener und exkommunizierter Schurke! Schon von deiner Geburt an warst du vom Teufel besessen – wärst eine Ausgeburt der Sünde –, die bösen Geister haben deine Wiege geschaukelt und ihre Krallen ins Heilige Taufbecken getaucht, während sie deiner unheiligen Taufe Pate gestanden! Illegitim und verflucht, bist du der Heiligen Kirche allzeit nichts denn eine Last gewesen! Und nun kommt der Höllengeist herbei und fordert sein Eigentum, du aber erkennst ihn als deinen Herrn und Meister an. Er hat nach dir gesucht und deinen Untergang besiegelt, sogar inmitten des Kerkers der Heiligen Inquisition! Hinweg denn, du Verfluchter! Wir überliefern dich der weltlichen Gerichtsbarkeit, betend, daß dieselbe es gnädig mit dir mache!‹
In Anhörung dieser schrecklichen Worte, deren Sinn ich nur allzugut verstand, stieß ich einen qualvollen Schrei aus – wohl den einzig menschlichen Laut, welcher je in den Mauern der Heiligen Inquisition erklungen ist. Allein man schleppte mich hinaus und achtete dieses Aufschreis, darein ich alle Kraft der Natur gelegt hatte, nicht anders, als wäre er aus der Folterkammer gedrungen. Auf dem Rückweg zu meiner Zelle gelangte ich zu der Überzeugung, das Auftreten des angeblichen Höllengeists sei ein ausgeklügelter, inquisitorischer Anschlag mit dem Ziel, mich in Selbstanklagen zu verstricken (was man nach Möglichkeit ja stets versucht), um hernach den für ein Verbrechen bestrafen zu können, dessen einzige Schuld es war, sich ein falsches Geständnis erpressen zu lassen.
So blieb mir nichts anderes mehr zu tun, als in der Dunkelheit und Stille meiner Zelle auf die schrecklichste aller Bestimmungen zu warten, wobei das völlige Ausbleiben jenes Fremden mich stündlich in meiner Überzeugung hinsichtlich des Zweckes seiner Besuche bestärkte. Während solcher Wartefrist kam es aber zu einem Ereignis, das alle Befürchtungen, Hoffnungen und Kalkulationen über den Haufen warf, nämlich zu dem großen Brand, welcher gegen Ende des letzten Jahrhunderts in dem Gebäude der Heiligen Inquisition ausbrach.
Es war in der Nacht des 29. November 17.., als dieser außergewöhnliche Umstand eintrat – außergewöhnlich schon allein in Ansehung all der wohlbekannten Vorkehrungen, welche die Wachsamkeit des Heiligen Offiziums gegen solchen Unglücksfall ergriffen hatte, und der verschwindend geringen Menge an Brennmaterial, die in dem Hause verbraucht wurde. Sobald sich herausgestellt hatte, daß das Feuer mit großer Schnelligkeit um sich griff und bedrohliche Ausmaße annahm, wurde angeordnet, die Gefangenen aus ihren Zellen zu holen und in einen der Gefängnishöfe zu geleiten.
Nur langsam rückte Hilfe heran – die Spanier sind ja überaus träge –, doch die Pumpen förderten nicht genug Löschwasser –, die Gefahr nahm zu –, der Feuerbrand loderte höher und höher –, und jene, welche die Pumpen betätigten, ließen entsetzensgelähmt davon ab, warfen sich zu Boden und riefen alle Heiligen, die ihnen in den Sinn kamen, zum Beistand gegen
Weitere Kostenlose Bücher