Melmoth der Wanderer
Mein einziger Trost bestand in dem festen Entschluß, allen Geboten der Heiligen Inquisition buchstäblich zu gehorchen. Ich hielt mich geflissentlich wach – doch er ließ sich die ganze Nacht nicht blicken. Erst gegen Morgen schlief ich ein, doch ach! – wie war mein Schlaf beschaffen! Ich träumte, daß meine Verurteilung schon ausgesprochen sei, die Armesünderglocke schon geläutet habe, und wir uns schon auf dem Wege aus den Kerkern der Heiligen Inquisition befänden. – Die Prozession bewegte sich dahin – voran schritten die Dominikaner, ihnen folgten die Büßer mit bloßen Armen und Füßen, in jeder Hand eine Wachskerze, einige von ihnen die Häupter mit san benitos verhüllt, und ein jeder war bleich und abgezehrt und atmete schwer, wobei die Fahlheit der Gesichter erschreckend jener der lehmfarbenen Arme und Füße glich. Hinter den Büßern schritten die einher, die auf ihrem Gewand den fuego revolto [5] trugen. Und dann folgte – ich selbst. Ich sah mich im Hemd des Delinquenten, seine Flammen wiesen aufwärts , und die Dämonen, die ihm aufgemalt waren, wurden nachgeäfft von jenen, welche meinen Fuß umsprangen und mein Haupt umflatterten! Die mich beiderseits eskortierenden Jesuiten drangen in mich, ich möge mit Fleiß den Unterschied zwischen diesen gemalten Flammen und jenen anderen erwägen, welche nun im Begriffe stünden, meine sich in Feuersqualen windende Seele auf Zeit und Ewigkeit zu umlodern, und dazu dröhnten mir die Glocken von ganz Madrid in den Ohren! Kein Licht war da außer jener trüben Dämmerung, wie sie uns in unseren Träumen zu umgeben pflegt (wer hätte je vom Sonnenlicht geträumt!) Schon erblickte ich vor mir das Todesgerüst – schon wurde ich an den Stuhl gekettet, umbrandet von all dem Glockendonnern, dem Chor der betenden Jesuiten und dem brausenden Lärm der Menge! Mir gegenüber hatte sich ein prächtiges Amphitheater aufgetan – der König und die Königin von Spanien sowie alle weltlichen und geistlichen Potentaten des Landes waren erschienen, uns brennen zu sehen.
Im Traume pflegen unsere Gedanken umherzuirren. Ich hatte einmal von einem auto da fe erzählen hören, in dessen Verlauf ein jüdisches Mädchen, noch keine sechzehn Jahre alt und doch schon zum Flammentod bei lebendigem Leibe verurteilt, sich der Königin zu Füßen geworfen hatte, wobei sie ausrief: ›Rettet mich, – so rettet mich doch, laßt mich nicht in dem Feuer umkommen, mein einziges Verbrechen besteht ja nur darin, an den Gott meiner Väter zu glauben!‹ Die Königin (ich glaube, es war Elisabeth von Frankreich, die Gemahlin Philipps) schluchzte auf, doch die Prozession nahm ihren Fortgang. Etwas davon durchkreuzte nun meinen Traum. Ich sah, wie der Bittsteller zurückgewiesen wurde, doch verwandelte derselbe sich im nächsten Moment in meinen Bruder Juan, welcher sich an mich klammerte und flehentlich sein ›Rette mich! So rette mich doch!‹ rief. Aber schon sah ich mich abermals an den Stuhl gekettet, die Flammen wurden entfacht, die Glocken wurden geläutet, die Litaneien wurden angestimmt – die Hitze fraß sich heran und verkohlte mir die Füße – meine Muskeln zerbarsten, mein Blut und mein Mark begannen mit prasselndem Zischen zu sieden, und das Fleisch schrumpfte mir wie Leder von den Knochen meiner Beine, welche wie zwei verkrümmte, reglose Stöcke in der heraufsteigenden Gluthitze standen. Schon wurde mir mein Kopf zu einem geschmolzenen Erz, schon verglühten und vergingen mir die Augen in den Höhlen, – ich riß den Mund auf, ich trank den Feuerstrom in mich und brüllte und schrie – und der König und die Königin, und der Adel und die Priesterschaft, sie saßen da und sahen zu, – und wir brannten und brannten und brannten! – Und mein Körper und meine Seele wurden zu einer einzigen schwarzen Kohle in diesem Traum!
Ich erwachte aus ihm durch jenen fürchterlichen Aufschrei, den – stets nur gekreischt, doch nimmermehr vernommen – all die Unseligen tun, sobald erst die Flammen immer rascher und grausamer um sie emporlodern: Misericordia por amor di Dios! So wird der Schreier durch sein eigenes Geschrei geweckt, – ich war wieder in meiner Kerkerzelle, und neben mir stand mein Versucher! Aus einem Antrieb, dem ich nicht widerstehen konnte, einem Antrieb, welcher aus den Schrecknissen meines Traumes seine Kräfte zog, warf ich mich dem Unbekannten vor die Füße und rief ihm mein ›Rette mich!‹ entgegen.
Ich kann nicht sagen, Senor, noch kann dies
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