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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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niedergebrochenen Steinmassen erstickten Flammenmeer eine so gewaltige, alles verhüllende Rauch- und Staubwolke, daß es ein Ding der Unmöglichkeit war, Gesicht oder Gestalt auch nur des Euch Zunächststehenden zu erkennen. Dabei wurde die Verwirrung noch gesteigert durch den Kontrast zwischen der so plötzlich hereingebrochenen Finsternis und dem unerträglich grellen Licht, welches während der ganzen letzten Stunde unsere Augen mit seiner Hitze fast zum Vertrocknen gebracht hatte, sowie durch das Schmerzgebrüll jener, welche dem Torbogen zu nahe gestanden und nun verstümmelt und in Qualen sich windend unter den Mauertrümmern lagen. Allein, inmitten all des Geschreis, der Finsternis und der aufzüngelnden Flammen hatte sich vor mir eine Gasse geöffnet. Es war getan fast eh gedacht: Keiner bemerkte es – keiner verfolgte mich –, und Stunden, bevor man mein Fehlen entdecken und Nachforschungen hätte anstellen können, hatte ich mir, von niemandem behelligt oder gesehen, meinen Weg durch die Brandruinen gebahnt und befand mich in Madrid.
    Die Umstände erwiesen sich als überaus günstig für mich, weil alle Straßen vollkommen ausgestorben waren, da jeder Bewohner, welcher nicht schlief oder nicht durch Krankheit ans Bett gefesselt lag, in die Kirche geeilt war, um dort im Gebet die Wut des Himmels abzuwenden und von demselben die Austilgung der Feuersbrunst zu erflehen.
    So stürzte ich vorwärts, ohne zu wissen wohin, und rannte, bis ich nicht mehr weiter konnte. Die frische Atemluft, derer ich so lange Zeit hatte entraten müssen, wirkte nach all dem Gerenne auf meine Kehle und auf meine Lungen mit dem quälenden Effekt von abertausend Nadeln und beraubte mich völlig jener Atmungskraft, welcher sie zunächst so förderlich geschienen. Da aber wurde ich eines Bauwerkes ganz in meiner Nähe gewahr, dessen große Tore weit offenstanden. Ich stürzte hinein – und fand mich in einem Gotteshaus. Keuchend brach ich auf dem Steinboden zusammen. Es war das Mittelschiff, in welches ich da geraten war – von Chor und Altar durch ein hohes, eisernes Gitter getrennt. Innerhalb jenes Gitters erblickte ich in dem spärlichen Licht der erst seit kurzem angesteckten Lampen einige Geistliche vor dem Altar, sowie eine kleine Schar von zitternden Gläubigen, welche mitten im Chorraum auf ihren Knien lagen. Welch ein Kontrast zwischen dem Lichtschein vor dem Altar und dem dämmrigen Schimmer, der durch die Fenster des Seitenschiffs geisterte und mir die Monumente nur in verschwommenen Umrissen zeigte, an deren eines ich für einen Augenblick der Ruhe meine pochende Stirn legte! Aber ich konnte ja nicht ausruhen – ich wagte es nicht –, und, mich wieder aufraffend, warf ich unwillkürlich einen Blick auf die Inschrift, welche in dieses Monument eingemeißelt war. Das Licht von draußen schien mit einem boshaften Aufflackern meinem Sehvermögen nachhelfen zu wollen. Ich las: ›Orate pro anima‹ und kam schließlich zu dem Namen dessen, für den da gebetet werden sollte: ›Juan di Moncada.‹ Aufspringend stürzte ich hinweg, ins Freie, als wären tausend Teufel hinter mir. – Des eignen Bruders frühes Grab, es hatte auf der Flucht zur Ruhstatt mir gedient.«

ZWÖLFTES KAPITEL
    Juravi lingua, mentem injuratam gero. [6]
    Wem dankst du die Bekanntschaft mit dem Teufel?
    Shirleys St. Patrick für Irland ,
     
    »Ich rannte, bis mein Atem und meine Kräfte mich verließen (ohne gewahr zu werden, daß ich mich in einem dunklen Torweg befand), und mir eine Tür Einhalt gebot. Ich taumelte dagegen, brach sie mit der Wucht meines Sturzes auf und fand mich in einem niedrigen, finsteren Raum. Sobald ich mich wieder aufgerafft hatte – ich war auf Hände und Knie gefallen –, blickte ich umher und wurde einer Szene ansichtig, die so einzigartig war, daß ich darüber für kurze Zeit sogar meine Todesangst und mein Entsetzen vergaß.
    Der Raum war überaus eng, und ich gewahrte jetzt an einigen Rissen, daß ich nicht nur eine Tür, sondern auch den dahinter befindlichen Vorhang beschädigt hatte, dessen schwerer Faltenwurf mir indes noch genügend Zuflucht bot, falls ich einer solchen bedurft haben sollte. Da sich in dem Zimmer niemand aufhielt, blieb mir Zeit und Muße genug, die ungewöhnliche Einrichtung genau zu mustern.
    Da war zunächst der mit einem Tuch bedeckte Tisch. Auf diesem stand ein sonderbar beschaffenes Gefäß, daneben lag ein Buch, in dessen Seiten ich einen Blick warf, ohne auch nur einen Buchstaben lesen

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