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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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welche dich aufrufen, dem Gott deiner Väter zu huldigen, dem uralten Gott, dem Einen und Ewigen Gott des Himmels und der Erde, der nicht Sohn hat noch Mutter, nicht Tochter noch Nachkommenschaft (wie es das lästerliche Credo der Erstgenannten so ruchlos vorgibt), ja nicht einmal Anbeter, mit Ausnahme jener wenigen, die Ihm wie ich ihre Herzen in der Verborgenheit aufopfern, unter der beständigen Drohung, zum Dank dafür diese Herzen von den eigenen Kindern durchbohrt zu sehen.
    Bei diesen Worten brach der Jüngling, überwältigt von all dem, was er da sehen und hören mußte, und so gänzlich unvorbereitet auf diesen plötzlichen Übertritt vom Katholizismus zum Judentum, in Tränen aus. Sein Vater aber machte sich diesen Moment zunutze. ›Mein Kind‹, so fuhr er fort, ›du bist nun daran, dich zum Sklaven jener Götzenanbeter zu machen, welche nach dem Gesetz Mosis und nach dem Willen Gottes verflucht sind – oder dich den wahren Gläubigen zu gesellen, welche in Abrahams Schoß ruhen und von solchem Ruheplatz aus auf die Ungläubigen hinabsehen werden, wie sie sich in der höllischen Feuersglut winden und dich vergebens um einen Tropfen Wasser anflehen, ganz wie ihr eigener Prophet es ihnen verheißen hat. Und macht dich solches Bild nicht stolz darauf, ihnen den Tropfen verweigern zu können?‹
    ›Ich würde ihnen den Tropfen nicht verweigern‹, schluchzte der Jüngling, ›sondern ihnen diese meine Tränen hingeben.‹
    ›Die Tränen spar dir lieber für deines Vaters letzte Ruhstatt auf‹, erwiderte da der Jude, ›denn zum Grabe hast du mich nun verdammt. Mein ganzes Leben war ein einzig Knausern und Wachsamsein, ein ewiges Hinhalten dieser verfluchten Götzendiener – und all dies für dich ! Und nun? Ach! Nun weisest du den Gott von dir, der dir als Einziger Erlösung bringen kann, und ebenso stößt du deinen Vater zurück, der dich kniefällig bittet, jene Erlösung anzunehmen!‹
    ›Das sei fern von mir‹, antwortete der verwirrte Jüngling.
    ›Was sonst hast du beschlossen?    – Sieh her, sieh die geheimnisvolle Gerätschaft bereitliegen für deine Aufnahme in den Bund! Hier liegt das reine Buch des Moses, dies Buch, das der Prophet des Herrn geschrieben hat, wie ja selbst jene Götzendiener zugeben müssen! Alles ist vorbereitet für dieses Jahr der Versöhnung. – Entscheide nun, ob jene Riten dich dem wahren Gott weihen sollen, oder aber ergreife deinen Vater (der sein Leben in deine Hand legt), pack ihn an der Kehle und schlepp ihn in die Kerker der Inquisition! Du magst es tun – du kannst es – willst du auch?
    Hingesunken, in zitternder Seelenangst, hielt der Vater die engverkrampften Hände seinem Sohn entgegen. Dies war der rechte Moment für mich, die Verzweiflung hatte mich hart gemacht. Zwar verstand ich kein einziges Wort von dem, was da geredet wurde, bis auf die Erwähnung der Inquisition. Dies letzte Wort war meine einzige Handhabe – und so griff ich in meiner Verzweiflung nach den Herzen von Vater und Sohn.
    Ich stürzte aus meinem Vorhangversteck ins Zimmer und rief: ›Wenn er Euch nicht der Inquisition verraten will, ich tu’s !‹ Damit fiel ich ihm zu Füßen. Diese aus Herausforderung und Demut gemischte Geste, zusammen mit meiner erbärmlichen Gestalt, meiner Inquisitenkleidung und meinem plötzlichen Eindringen in jenes geheime und feierliche Zwiegespräch, durchzuckte den Jüden mit einem Entsetzen, das ihm den Atem verschlug, bis ich mich erhob und hinzufügte: ›Ja wohl, ich will Euch der Inquisition überantworten, wenn Ihr nicht auf der Stelle geloben wollt, mich vor ihr zu verbergen!‹
    Der Jude musterte meine Kleidung, wurde sich im Augenblick über seine wie auch meine Gefahr klar und begann mit einer körperlichen Geistesgegenwart, die nicht ihresgleichen hatte und einem Menschen nur in höchster geistiger Erregung und Todesgefahr zu Gebote steht, sowohl die sämtliche Zurüstung zu seinem Versöhnungsopfer als auch meine gesamte Inquisitenkleidung zu beseitigen und mir ein Gewand überzustreifen, das er aus einem uralten Kleiderschrank riß.
    Es mußten indes noch viele Tage verstreichen, ehe der Jude die Befreiung von seiner Angst, welche mit dem Unterhalt eines zusätzlichen, unruhigen und, wie ich fürchte, recht verstörten Hausgenossen ziemlich teuer erkauft war, auch einigermaßen zu fühlen begann. So ergriff er die erste Gelegenheit, die mein sich langsam erhellender Verstand ihm bot, mir dieses anzudeuten, indem er mir die behutsame

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