Melodie der Leidenschaft
Und genauso ist das auch bei Ella, redete er sich nun energisch ein. Jetzt begehrte er sie, und bald würde er sie auch haben. Aber mit dem Anfang einer Affäre wäre dann auch schon das Ende eingeleitet, wie immer.
3. KAPITEL
„Du kannst mich jetzt absetzen“, sagte Ella, als Nicolaj die Haustür geöffnet hatte und durch die Eingangshalle auf die geschwungene Treppe zusteuerte, die zu den oberen Stockwerken führte. „Ich wohne im Erdgeschoss, durch die Tür da drüben. Ich schaffe das jetzt schon, danke“, fügte sie hinzu, als er sie trotzdem nicht absetzte.
Er schob die Tür mit der Schulter auf, betrat das Wohnzimmer und sah sich in dem großen Raum um, der von einem riesigen Flügel beherrscht wurde. Durch die Terrassentüren konnte er eine ausgedehnte Rasenfläche und dahinter die Themse erkennen, die im Mondlicht schimmerte.
„Du hast ja einen tollen Blick auf den Fluss.“
„Ja, und auf Hampton Court am anderen Ufer. Es ist wunderschön hier, und ich finde die Vorstellung ganz schrecklich, dass ich vielleicht ausziehen muss“, gestand Ella. „Es war sehr nett von Onkel Rex, dass er die letzten Mieter überredet hat, mich hier wohnen zu lassen. Noch einmal werde ich so großes Glück wohl nicht haben. Leider gibt es nur wenige Wohnungen, in die der Flügel passt, die ich mir leisten kann und in denen ich mehrere Stunden lang üben kann, ohne die Nachbarn zu stören.“
„Warum verkaufst du den Flügel nicht einfach? Steinways kosten doch ein kleines Vermögen.“
„Ich werde ihn niemals verkaufen“, entgegnete Ella heftig. „Er hat früher meiner Mutter gehört, die ihn heiß und innig geliebt hat. Der Flügel gehört zu den wenigen Besitztümern meiner Mutter, die ich retten konnte, als Stafford Hall verkauft wurde. Das Familienanwesen“, fügte sie hinzu, als Nicolaj sie fragend ansah. „Stafford Hall war ein Geschenk Heinrichs VIII. an einen meiner Vorfahren. Und das Haus wurde mitsamt eines beträchtlichen Vermögens von einer Generation an die nächste weitervererbt – bis mein Vater es in die Hände bekam.“
Ihre unverhohlene Bitterkeit weckte Nicolajs Neugier. „Was ist dann passiert? Und wo sind deine Eltern jetzt?“
„Sie sind beide tot. Meine Mutter ist gestorben, als ich dreizehn war“, erzählte Ella leise. „Mein Vater starb vor fünf Jahren, nachdem er das gesamte Vermögen durch Trinken und Glücksspiel verpulvert hatte. Als es weg war, hat er alles verkauft, was er noch zu Geld machen konnte. Zum Glück hatte meine Mutter mir ihre Geige und ihren Flügel vermacht, sodass er die nicht anrühren konnte. Nach seinem Tod musste ich Stafford Hall verkaufen, um seine Schulden zu bezahlen.“
Das Vermögen der Familie Stafford war nicht nur der Vorliebe ihres Vaters für Whiskey und Roulette, sondern auch seinen zahlreichen Affären zum Opfer gefallen. Ellas Vater war ein notorischer Playboy gewesen, und sie hatte sich schon als Kind geschworen, sich niemals mit einem Mann einzulassen, der Frauen als eine Form des Zeitvertreibs betrachtete.
Wie konnte ich dann zulassen, dass Nicolaj Alexandrow, der seine Geliebten häufiger wechselte als die meisten Männer ihre Socken, mich küsst? fragte sie sich aufgebracht. Und wie hatte sie so auf ihn reagieren und womöglich den Eindruck erwecken können, dass sie mit ihm ins Bett gehen würde?
Allzu deutlich nahm sie seine Arme um ihre Taille und unter ihren Knien war. Eng an seinen Oberkörper geschmiegt, hörte sie sein Herz ruhig und regelmäßig schlagen. Sie fühlte sich sicher und geborgen, was natürlich eine Illusion war. Nicolaj war wie ihr Vater: ein Herzensbrecher. Schon bei ihrer allerersten Begegnung hatte eine innere Stimme Ella vor ihm gewarnt.
„Bitte setz mich jetzt ab.“ Sie strampelte, doch Nicolaj ignorierte es und trug sie durch die offen stehende Tür in ihr Schlafzimmer.
„Wo hast du die Schmerztabletten?“
„In der Nachttischschublade.“
Vorsichtig setzte er sie auf dem Bett ab. Trotzdem verursachte die Bewegung Ella so starke Schmerzen, dass sie den Atem anhielt. Als er die Lampe anschaltete, stöhnte sie leise auf. Zum Glück löschte er das Licht wieder, sobald er ihre Schmerztabletten gefunden hatte. Nun fiel nur noch schwaches Mondlicht durch die offenen Vorhänge ins Zimmer.
„Ich hole dir ein Glas Wasser.“
Sie hörte Nicolaj ins Badezimmer gehen. Kurze Zeit später reichte er ihr ein Glas Wasser und zwei Schmerztabletten, die Ella sofort einnahm. In zehn, höchstens fünfzehn
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