Melodie der Leidenschaft
einem gemeinsamen Abendessen zu überreden – geschweige denn, in sein Bett zu locken –, zu nichts geführt. Langsam zweifelte er daran, dass sie den Aufwand wert war. Vielleicht sollte er sie einfach zu Hause absetzen und dann vergessen? Zwar hatte er sich wegen seiner vielen geschäftlichen Termine schon seit Wochen nicht mehr mit einer Frau vergnügt, aber Ella Stafford war einfach zu anstrengend.
„Anhalten!“, rief sie plötzlich.
„Laut Navi ist es aber noch eine Meile“, entgegnete er stirnrunzelnd.
„Halt bitte sofort an.“
Ellas flehender Tonfall verwirrte ihn. Wollte sie am Straßenrand abgesetzt werden, damit sie ihn nicht ins Haus bitten musste?
Nicolaj fluchte heftig auf Russisch und lenkte den Wagen auf einen Parkstreifen. Sofort stürzte Ella aus dem Wagen und rannte auf einige Büsche zu.
„Ella?“
„Geh mir bloß nicht nach!“, schrie sie.
Nicolaj, der bereits ausgestiegen war, fluchte erneut. Was glaubte sie denn, was er mit ihr vorhatte? Er wandte sich wieder zum Wagen und hörte dann, wie Ella heftig würgte. Einige Minuten später tauchte sie mit bleichem Gesicht wieder auf. Ihre Augen wirkten wie leere Höhlen, und sie sah elend aus. Ein undefinierbares Gefühl regte sich in seiner Brust.
„Was um alles in der Welt ist denn los mit dir?“
„Migräne“, brachte Ella mühsam heraus. Als sie Nicolajs entsetzte Miene sah, wäre sie vor Verlegenheit am liebsten im Boden versunken. Kein Funken Verlangen lag in seinem Blick, und das war ja auch kein Wunder, nachdem sie gerade deutlich hörbar ihren gesamten Mageninhalt von sich gegeben hatte. „Manchmal bekomme ich nach einer Aufführung Migräne. Das Spielen ist extrem anstrengend für mich, auch emotional. Offenbar wirken sich intensive Empfindungen bei mir körperlich aus.“ Erschöpft lehnte sie sich gegen den Wagen. Ob Nicolaj sie überhaupt wieder einsteigen ließe?
„Und du bist auch schuld daran“, gestand sie leise. „Du bringst mich durcheinander.“
Nicolaj lachte rau und klang nicht im Geringsten verärgert. „Endlich bist du ehrlich! Und falls es dich tröstet: Du bringst mich auch durcheinander. Aber dass es dir meinetwegen körperlich schlecht geht, gefällt mir nicht besonders.“
„Nein, es war doch nicht deinetwegen, dass … ich meine …“ Warum bin ich bloß so ehrlich zu ihm? dachte Ella, wütend auf sich selbst. Normalerweise war sie sehr zurückhaltend und wurde deshalb oft fälschlicherweise für unnahbar und spröde gehalten. Der Spitzname „Eisprinzessin“ missfiel ihr sehr, aber in diesem Moment hätte sie alles dafür getan, kühl und gefasst zu wirken.
„Dvoˇráks Symphonie ‚Aus der Neuen Welt‘ zu spielen ist für mich etwas sehr Emotionales“, sagte sie leise und errötete.
„Ich bin erleichtert, dass dir nicht von meinen Küssen schlecht geworden ist“, sagte Nicolaj amüsiert.
Ella wollte ihm einen finsteren Blick zuwerfen, doch der Schmerz an ihren Schläfen war so unerträglich, dass sie die Augen schloss.
„Nimmst du etwas gegen die Kopfschmerzen?“
Als sie mühsam die Augen öffnete, stand Nicolaj plötzlich näher bei ihr. Am liebsten hätte sie den schmerzenden Kopf an seinen breiten Oberkörper gelehnt. „Ich habe die Tabletten zu Hause vergessen“, erwiderte sie leise.
„Dann bringe ich dich wohl besser so schnell wie möglich dorthin.“ Nicolaj half ihr in den Wagen und stieg dann ebenfalls ein. „Lass mich das machen“, sagte er, beugte sich über sie und schloss ihren Sicherheitsgurt. Trotz der heftig pochenden Schmerzen nahm Ella seine Nähe und den herben Duft seines Aftershaves intensiv wahr. Im Licht der Straßenlaterne glänzte sein olivfarbener Teint wie Seide, doch seine funkelnden blauen Augen waren unter den dichten schwarzen Wimpern verborgen. Nicolajs Mund war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, sodass sie unwillkürlich daran denken musste, wie er sie geküsst hatte. Plötzlich wurde ihr heiß, dabei war ihr eben noch eiskalt gewesen. Aus irgendeinem Grund hatte Nicolaj eine Wirkung auf sie wie niemals ein Mann zuvor.
Dass einige ihrer männlichen Bekannten sie für frigide hielten, überraschte sie nicht. Ella selbst hatte sich ihr mangelndes Interesse an Männern damit erklärt, dass sie ihren Vater so gehasst hatte und möglicherweise keinen starken sexuellen Trieb besaß. Doch die erotischen Träume, die sie seit der Begegnung mit Nicolaj in Paris quälten, hatten sie eines Besseren belehrt. Er hatte ihre Sinnlichkeit zum
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