Melodie der Leidenschaft
trugen und auf dem Internat waren –, dass du niemals heiraten willst.“
„Will ich auch nicht.“ Sie gingen hinaus, um auf ein Taxi zu warten.
„Aber jetzt klingt es so, als wolltest du auch keine Affären. Was willst du dann – dein Leben wie eine Nonne verbringen?“
„Ja … nein … ich weiß es nicht“, sagte Ella. Sie war schon seit über zehn Jahren mit Jenny befreundet, die sie besser kannte als sonst jemand. Trotzdem konnte sie ihr nicht erklären, warum sie so heftig auf Nicolaj reagierte. Sie verstand es ja selbst nicht.
„Soll das heißen, du rätst mir, Nicolaj Alexandrows Gespielin zu werden?“, fragte sie kühl.
„Ehrlich gesagt, ich kann mir durchaus Schlimmeres vorstellen“, erwiderte Jenny kess. „Aber mal im Ernst …“ Ihr Lächeln verschwand. „Ich weiß, dass du dich mit deinem Vater nicht gut verstanden hast und dass er deine Mutter sehr schlecht behandelt hat. Aber du kannst dich nicht von der ganzen Welt, von Männern und Beziehungen lossagen, nur weil die Ehe deiner Eltern nicht glücklich war.“
„Das tue ich ja auch nicht“, verteidigte Ella sich nicht ganz wahrheitsgemäß. Jenny verstand das einfach nicht. Wie auch? Ihre Eltern waren seit dreißig Jahren glücklich verheiratet. Ihr Vater war ein sanfter, freundlicher Mann, der seine Frau und seine vier Kinder geradezu anbetete. Ella hatte oft und gerne die Ferien statt im prächtigen, einsamen Stafford Hall bei Jenny und ihrer Familie in Milton Keynes verbracht. Denn das überfüllte kleine Häuschen der Marches war voller Liebe und Gelächter gewesen.
Jenny hatte auch nicht erlebt, wie ihr Vater ihre Mutter mit psychischer, manchmal auch körperlicher Gewalt zerstörte. Dies hatte bei Ella tiefe emotionale Narben hinterlassen. Und sie hatte sich geschworen, niemals zuzulassen, dass ein Mann dieselbe Macht über sie hatte.
„Wann bist du denn das letzte Mal mit jemandem ausgegangen?“, fragte Jenny.
„Vor ein paar Monaten war ich mit Michail Danowski verabredet.“
Ihre Freundin sah sie mitleidig und entgeistert an. „Der ist schwul und zählt nicht.“
Zum Glück blieb Ella eine Entgegnung erspart, denn in diesem Moment kam ein Taxi, und sie waren einige Zeit damit beschäftigt, alle Gepäckstücke im Kofferraum zu verstauen. Als Ella Nicolajs Strauß ebenfalls hineinstopfen wollte, sagte Jenny: „Den kannst du nicht in den Kofferraum packen, da wird er doch zerdrückt!“
Ella musste sich eingestehen, dass die wunderschönen Blumen dafür zu schade waren. Und als das Taxi schließlich losfuhr, betrachtete sie die tiefroten, samtigen Blüten, die einen sinnlichen Duft verströmten.
Rote Rosen waren etwas für Liebespaare. Daran musste sie jetzt denken – und an Jennys Frage, ob sie ihr Leben wie eine Nonne verbringen wolle. Natürlich nicht, versicherte sie sich jetzt selbst. Nur nahmen die Musik und ihr Beruf – mit dem Royal London Orchestra und als Solistin – eben momentan ihre gesamte Zeit ein, sodass für eine Beziehung einfach kein Raum war.
Aber eine Beziehung stellte Nicolaj ihr ja auch gar nicht in Aussicht, er wollte nur eine Affäre. Und Ella würde auf keinen Fall eine weitere von vielen Kerben in seinem Bettpfosten sein.
Der Anblick von Kingfisher House und den hängenden Kirschbäumen entlang der Auffahrt, alles in helles Sonnenlicht getaucht, hob Ellas Stimmung. Sie konnte es kaum erwarten, die Terrassentüren aufzustoßen und über den Rasen zu dem privaten Anlegesteg an der Themse zu laufen. Doch zuerst musste sie den Anrufbeantworter abhören.
„Hallo, Ella, hier ist Onkel Rex. Ich habe einen neuen Mieter für Kingfisher House gefunden. Er will das Haus kaufen, aber erst ein halbes Jahr zur Miete hier wohnen, um zu sehen, ob es das Richtige ist. Du brauchst aber nicht sofort auszuziehen. Er ist damit einverstanden, dass du in der Hausmeisterwohnung bleibst, bis er eine endgültige Entscheidung gefällt hat. Ich rufe dich noch mal an, damit ihr euch kennenlernen könnt – hoffentlich noch dieses Wochenende.“
Ellas Herz wurde schwer. Sie hatte gewusst, dass ihr Onkel darüber nachdachte, Kingfisher House zu verkaufen. Jetzt würde sie wahrscheinlich in den nächsten Monaten umziehen müssen. Und der große Flügel würde die Wohnungssuche nicht leichter machen. Plötzlich erschien ihr ganzes Leben ungewiss, und das anstehende Wiedersehen mit Nicolaj steigerte Ellas Anspannung noch.
Bestimmt hatte er absichtlich seine Telefonnummer nicht mitgeteilt, damit sie nicht
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