Melodie der Liebe
gelernt haben.“ Verblüfft sah er Natasha zu, wie sie in einer Schublade wühlte.
„Es ist eine sympathische kleine Stadt. Natürlich haben wir auch unsere Probleme. Hast du schon von der Frau gehört, die aus der Anstalt geflohen ist?“
„Aus welcher Anstalt?“ Er sprach hastig weiter, als sie verärgert den Kopf schüttelte. „Nein, ich glaube nicht.“
„Die Polizei will es möglichst geheim halten. Sie weiß, dass die Frau sich in dieser Gegend aufhält, und will nicht, dass die Leute in Panik geraten.“ Natasha schaltete die Taschenlampe kurz ein und nickte zufrieden. Die Batterien waren noch stark genug. „Sie ist geistesgestört, weißt du, und entführt kleine Kinder. Am liebsten kleine Jungs. Dann foltert sie sie auf grausame Art. In Vollmondnächten schleicht sie sich von hinten an sie heran und packt sie am Hals, bevor sie schreien können.“
Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, da ließ sie die Jalousie am Fenster nach oben sausen. Mit der Taschenlampe unter dem Kinn presste sie das Gesicht gegen die Scheibe und grinste.
Draußen ertönten zwei entsetzte Schreie fast gleichzeitig. Es gab ein Poltern, einen Ausruf, dann Fußgetrappel.
Natasha krümmte sich fast vor Lachen und stützte sich auf die Fensterbank.
„Die Freedmont-Jungs“, erklärte sie. „Im letzten Jahr haben sie Annie eine tote Ratte vor die Tür gehängt.“ Sie presste sich eine Hand auf die Brust, als Spence sich neben sie stellte und durchs Fenster schaute. Alles, was er sehen konnte, waren zwei Schatten, die über den Rasen davonrannten.
„Schätze, diesmal hast du den Spieß umgedreht.“
„Du hättest ihre Gesichter sehen sollen.“ Sie tupfte sich eine Lachträne von den Wimpern. „Ich glaube, ihre Herzen schlagen erst wieder, wenn sie sich die Bettdecke über den Kopf gezogen haben.“
„Dies dürfte ein Halloween sein, das sie nie vergessen werden.“
„Jedes Kind sollte einmal einen so gehörigen Schrecken bekommen, dass es sich immer an ihn erinnert.“ Noch immer lächelnd klemmte sie sich die Taschenlampe wieder unters Kinn. „Wie sehe ich aus?“
„Ich lasse mich nicht mehr verjagen.“ Er nahm die Taschenlampe und legte sie zur Seite. Dann zog er Natasha zu sich heran. „Es ist an der Zeit herauszufinden, was Illusion ist und was Realität.“ Langsam ließ er die Jalousie nach unten gleiten.
8. KAPITEL
E s war real. Schmerzhaft real. Sie fühlte seinen Mund und zweifelte nicht mehr daran, dass sie ebenso lebendig war wie ihre Bedürfnisse. Die Zeit, der Ort, darauf kam es nicht an. Sie hätten Illusionen sein können. Aber er nicht. Die Sehnsucht und das Begehren nicht. Die Berührung ihrer Lippen reichte aus, sie das wissen zu lassen.
Nein, einfach war es nicht. Nichts, was zwischen ihnen beiden geschah, war einfach. Das hatte sie von Anfang an gewusst. Und dabei hatte sie sich immer das Gegenteil gewünscht. Einen bequemen Weg, einen geraden Pfad, ohne Steigungen, ohne Kurven.
Mit ihm würde es das nicht geben. Niemals.
Natasha fand sich damit ab und schlang die Arme um Spence. In dieser Nacht würde es keine Vergangenheit und keine Zukunft geben. Nur einen Moment der Gegenwart, nach dem sie mit beiden Händen greifen und den sie so lange wie möglich genießen würde.
Sie hatte gesagt, dass sie sich nicht erobern lassen wollte. Aber jetzt schmiegte sie sich an ihn und fühlte sich dennoch nicht schwach. Sie fühlte sich geliebt. Dankbar und wie zur Bestätigung presste sie die Lippen auf seinen Hals. Als er sie ins Schlafzimmer trug, kam es ihr gar nicht in denSinn, sich zu wehren oder auch nur zu protestieren Sie ließ es einfach zu.
Dann gab es nur noch den Mondschein. Er kroch durch die dünne Gardine, sanft und leise, wie ein Mann, der ins Zimmer seiner Geliebten schleicht. Natashas Geliebter sagte nichts, als er sie vor dem Bett auf die Füße stellte. Sein Schweigen verriet ihr mehr als alle Worte.
So hatte er sie sich vorgestellt. Es schien unmöglich, aber er hatte es tatsächlich. In seinen Träumen war sie klar und deutlich zu erkennen gewesen. Er hatte das Haar gesehen, das in einer wilden Flut von Locken ihr Gesicht umrahmte, ihre dunklen Augen, aus denen sie ihn ruhig ansah, ihre Haut, die schimmerte wie das Gold an ihrem Hals.
Behutsam streifte er ihr den Schal vom Kopf und ließ ihn zu Boden fallen. Sie wartete. Ohne sie aus den Augen zu lassen, löste er die anderen Schals, die sie um ihre Taille trug. Einer nach dem anderen, erst saphirblau, dann
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