Melodie der Liebe
bewältigen. Die Buchführung war auf dem letzten Stand, die Überweisungsformulare für die Lieferantenrechnungen ausgefüllt. In zwei Monaten war Weihnachten, und sie hatte die Bestellung rechtzeitig vorgenommen. In jeder freien Ecke stapelten sich bereits die Waren. Es war ein gutes Gefühl, von Sachen umgeben zu sein, die sich am Weihnachtsmorgen vor leuchtenden Kinderaugen in die ersehnten Geschenke verwandeln würden.
Aber das Weihnachtsfest brachte für Natasha auch ganz handfeste Probleme mit sich. Sie mussteanfangen, über die Dekoration des Ladens nachzudenken, und sich bald entscheiden, ob sie für die turbulentesten Wochen des Jahres eine Aushilfsverkäuferin einstellen sollte.
Jetzt, am späten Vormittag, hatte sie Annie das Kommando über den Laden übergeben und sich ihre Lehrbücher vorgenommen.
Im Kurs stand ein Test über das Barock an, und sie hatte sich vorgenommen, ihrem Dozenten, ihrem Geliebten zu beweisen, dass sie eine gute Studentin war.
Vielleicht nahm sie es zu wichtig. Aber es hatte Zeiten in ihrem Leben gegeben, in denen sie sich unfähig, ja dumm vorgekommen war. Das kleine Mädchen mit dem gebrochenen Englisch, der magere Teenager, der mehr ans Tanzen als an die Schule dachte, die Tänzerin, die sich mit dem harten Training abquälte, die junge Frau, die mehr auf ihr Herz als auf den Verstand hörte.
Sie war keine dieser Personen mehr und gleichzeitig alle zusammen. Spence sollte ihre Intelligenz respektieren, sie als gleichwertig ansehen, nicht nur als Frau, die er begehrte.
Machte sie sich deswegen unnötig Sorgen? Spence war ganz anders als Anthony. Abgesehen von einigen Äußerlichkeiten, in denen sie sich entfernt ähnelten, waren sie vollkommen gegensätzlich. Sicher, der eine war ein brillanter Tänzer, der andere ein brillanter Musiker. Aber Anthony warselbstsüchtig, unehrlich und am Ende feige gewesen.
Ein großzügigerer, freundlicherer Mann als Spence war ihr nie begegnet. Er war ehrlich und einfühlsam. Oder sprach jetzt nur ihr Herz? Bestimmt sogar. Aber ein Herz war kein mechanisches Spielzeug, auf das man eine Garantie bekam. An jedem Tag, an dem sie mit ihm zusammen war, fühlte sie ihre Liebe tiefer werden. So tief, dass es Momente gab, in denen sie kurz davor war, alle Bedenken zur Seite zu schieben und ihm alles zu erzählen.
Schon einmal hatte sie einem Mann ihr Herz geschenkt. Ein reines und äußerst zerbrechliches Herz. Als er es ihr zurückgegeben hatte, waren Narben darin gewesen.
Nein, es gab keine Garantien.
Was die Gegenwart betraf, wollte sie nicht pessimistisch sein. So wie die Dinge waren, waren sie gut. Schließlich waren sie zwei erwachsene Menschen, die einander Vergnügen bereiteten. Und sie waren Freunde.
Natasha nahm die Rose aus der Vase auf dem Schreibtisch und rieb sich mit der Blüte über die Wange. Es war schade, dass sie und ihr Freund immer nur ab und zu und dann nur für einige Stunden allein sein konnten. Es gab das Kind, die Arbeit und andere Verpflichtungen. Aber in den Stunden, in denen ihr Freund zu ihrem Liebhaberwurde, erfuhr sie die wahre Bedeutung des Glücks.
Sie steckte die Blume in die Vase und konzentrierte sich wieder auf ihre Studienarbeit. Fünf Minuten später läutete das Telefon.
„Fun House. Guten Morgen.“
„Guten Morgen, Geschäftsperson.“
„Mama!“
„Also, bist du beschäftigt oder hast du einen Moment Zeit, um mit deiner Mutter zu reden?“
Natasha hielt den Hörer mit beiden Händen. Sie liebte den vertrauten Klang der Stimme, die aus der Ferne an ihr Ohr drang. „Natürlich habe ich einen Moment Zeit. So viele Momente, wie du willst.“
„Ich habe mich nur gewundert, weil du dich seit zwei Wochen nicht mehr gemeldet hast.“
„Tut mir Leid.“ Seit zwei Wochen stand ein Mann im Mittelpunkt ihres Lebens. Aber das konnte sie ihrer Mutter schlecht erzählen. „Wie geht es dir und Papa und allen anderen?“
„Papa und mir und allen anderen geht es gut. Papa bekommt eine Gehaltserhöhung.“
„Wunderbar.“
„Mikhail trifft sich nicht mehr mit dem italienischen Mädchen.“ Nadia schickte einen ukrainischen Dankesspruch durch die Leitung, und Natasha musste lachen. „Alex trifft sich dauernd mit irgendwelchen Mädchen. Schlauer Junge, meinAlex. Und Rachel hat nur noch für ihr Studium Zeit. Wie sieht’s bei Natasha aus?“
„Bei Natasha ist alles in Ordnung. Ich esse gut und schlafe viel“, fügte sie hinzu, bevor Nadia sie danach fragen konnte.
„Gut. Und dein
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