Melodie der Liebe
Augen und grinste verlegen.
Natasha wollte sie nicht länger zappeln lassen. „Ich verschwinde mal kurz. Schaffst du es allein? In einer Stunde bin ich wieder zurück.“
„Kein Problem.“ Annie strich sich über die Frisur, während Terry neben ihr mit dem Gesicht eine ganze Palette von Rottönen durchprobierte. „Lass dir ruhig Zeit!“
Was für ein Tag, dachte Natasha, während sie die Straße entlanglief. Erst ihre Mutter, dann Spence und jetzt auch noch Annie und Terry, eng umschlungen neben der Kasse.
Als Spence ihr die Haustür öffnete, fand sie ihre Befürchtung bestätigt. Er war doch krank, hatte offenbar Fieber. Seine Augen leuchteten, die Wangen glänzten. Sein Sweater war zerknittert, die Krawatte hing ihm ungeknotet um den Hals.
„Spence, du bist doch nicht etwa …“
Sie brachte die Frage nicht zu Ende. Er küsste sie, zog sie in die Arme und wirbelte sie in der Luft herum. Nein, Fieber hatte er wohl doch nicht. Jedenfalls nicht die Art, die medizinische Betreuung erforderte.
„Wenn ich deswegen den ganzen Weg gerannt bin, kannst du was erleben“, sagte sie, als er sie wieder freigab.
„Ausgezeichnete Idee“, erwiderte er lachend. „Aber deshalb habe ich nicht angerufen.“
„Weshalb denn dann? Hast du das große Los gezogen?“
„Noch besser. Komm herein.“ Er zog sie ins Musikzimmer. „Sag nichts. Setz dich einfach hin.“
Und dann begann er zu spielen.
Schon nach wenigen Takten war Natasha klar, dass sie etwas völlig Neues hörte. Etwas, das noch nie zuvor komponiert worden war. Sie bekam eine Gänsehaut. Gebannt lauschte sie.
Leidenschaft. Jede Note trug die Leidenschaft in sich, drückte sie aus, in allen Schattierungen. Sie starrte auf Spence, auf seine intensiv leuchtenden Augen, auf die Finger, die flink und geschmeidig über die Tasten glitten. Wie schaffte er es nur, das, was sie im Innersten fühlte, in Musik umzusetzen?
Das Tempo wurde schneller. Sprachlos, atemlos saß sie da. Dann ging die Musik in etwas Kraftvolles, Trauriges über. Und in etwas Lebendiges. Natasha schloss die Augen, überwältigt, ohne die Tränen zu bemerken, die ihr über die Wangen rannen.
Als es vorbei war, wagte sie nicht, sich zu bewegen.
„Ich muss nicht fragen, was du davon hältst“, murmelte Spence. „Ich sehe es dir an.“
Sie konnte nur mit dem Kopf schütteln. Ihr fehlten die Worte. Dafür gab es keine Worte. „Wann?“
„In den letzten paar Tagen.“ Die Emotionen, die die Musik aus ihm herausgesogen hatte, kehrten zurück. Er stand auf, ging zu ihr und zog siehoch. Als er sie berührte, spürte sie die Intensität, mit der er gespielt hatte. „Sie ist wieder da.“ Er presste ihre Hand an die Lippen. „Zuerst war es erschreckend. Ich hörte sie im Kopf, wie früher. Es ist, als ob man über eine Direktleitung mit dem Himmel verbunden ist, Natasha. Ich kann es nicht erklären.“
„Das brauchst du auch nicht. Ich habe es gehört.“
Irgendwie hatte er gewusst, dass sie es verstehen würde. „Erst dachte ich, es wäre reines Wunschdenken, oder dass die Musik verschwindet, sobald ich mich hinsetze …“ Er sah zum Flügel hinüber. „Aber das tat sie nicht. Sie floss mir in die Hände. Ich komme mir vor wie ein Blinder, der wieder sehen kann.“
„Sie war immer da.“ Sie strich ihm übers Gesicht. „Sie hat sich nur ausgeruht.“
„Nein, du hast sie zurückgeholt. Ich habe dir einmal gesagt, du hättest mein Leben verändert. Jetzt weiß ich erst, wie sehr. Die Musik ist für dich, Natasha.“
„Nein, sie ist für dich.“ Sie schlang die Arme um ihn. „Das ist erst der Anfang.“
„Ja.“ Er fuhr ihr mit den Händen durchs Haar, sodass sie ihm das Gesicht zuwandte. „Das ist es. Wenn du gehört hast, was die Musik bedeutet, und ich glaube, das hast du, dann weißt du jetzt auch, was ich fühle.“
„Spence, sag jetzt nichts. Die Musik hat dich aufgewühlt. Du könntest das, was sie in dir ausgelöst hat, leicht mit anderen Dingen verwechseln.“
„Unsinn. Du willst nur nicht hören, wenn ich dir sage, dass ich dich liebe.“
„Nein.“ Panik stieg in ihr auf. „Nein, das will ich wirklich nicht. Denn ich bin noch nicht stark genug, dir dasselbe zu sagen.“
„Dann sage ich dir eben nicht, dass ich dich liebe.“ Er küsste sie auf die Lippen, ganz sanft. „Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem du mir zuhören wirst. Und mir antworten wirst.“
„Das klingt wie eine Drohung.“
„Nein, es ist nur eines der Versprechen, die du
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