Melodie der Sehnsucht (German Edition)
dass ihm diese Hinrichtungen missfielen. Die Herzogin war nicht zugegen. Sie hatte für die Delinquenten getan, was sie konnte, aber ihnen beim Sterben zuzusehen ging offensichtlich über ihre Kräfte. Dafür stand Madeleine in der Menge und fixierte Philippe, so verzweifelt und intensiv, dass er sie eigentlich hätte bemerken müssen. Aber Philippe hing nur teilnahmslos in den Stricken, mit denen man ihn auf seinem Scheiterhaufen festgebunden hatte. Sabine hoffte für ihn, dass er wieder das Bewusstsein verloren hatte, auch wenn es dann keinen letzten, vielleicht doch noch zärtlichen Abschiedsblick für Madeleine geben würde.
Sabine selbst suchte Florimond mit verzweifelter Sehnsucht. Wenn er nur da wäre, wenn sie ihren Blick nur in den Augen eines liebenden, verständnisvollen Freundes versenken könnte, ihren Schmerz vergessen in Erinnerung an die Flammen der Seligkeit, deren Brand reines Glück und reine Erfüllung gewesen war.
Aber der Ritter befand sich nicht in der Menge rund um den Hinrichtungsplatz. Ob er den Anblick scheute? Ob er nicht ertragen konnte, Zeuge ihres schrecklichen Todes zu werden? Oder hatte man ihn womöglich ebenfalls festgesetzt? Auch ihr Vater war nicht zugegen, ebenso wenig Fleurette! Hatte man die Verwandten und Freunde der Delinquenten vielleicht doch noch verhaftet? Folterte man sie, um weitere Ketzer zu entlarven? Wenn ja, dann war es gut, dass sie ihrem Liebsten wenigstens vorausging. Sie könnte es nicht ertragen, ihren wunderschönen Troubadour so zerschlagen und hilflos an den Scheiterhaufen gekettet zu sehen wie hier Philippe. Sabine spähte verzweifelt in die Menge, aber sie sah kein Florimond, keine Fleurette. Sabine richtete sich darauf ein, allein zu sterben.
Sie sah nicht hin, als man ihren alten Freunden und Gemeindemitgliedern die Schlingen um den Hals legte, und sie versuchte, ihr Röcheln nicht zu hören.
Und plötzlich spürte sie die rasende Angst, die sie bis jetzt verdrängt hatte, beobachtete schreckensstarr und gebannt, wie sich der Henker mit der Fackel näherte.
Die Scheiterhaufen der anderen loderten schon, als die Priester jetzt auf Philippe zutraten. Einer von ihnen kletterte zu ihm hinauf, um ihm die letzte entscheidende Frage zu stellen. Hoffentlich schaffte er es, irgendetwas zu sagen, das als Abschwören gedeutet werden konnte.
Sabine hörte die Gebete der Priester und wurde zum ersten Mal auch selber schwach ... sie konnte noch abschwören. Sie konnte einen leichteren Tod wählen.
Aber dann, während der schwarzgewandete Geistliche die rituelle Frage an den vermeintlichen Gralsritter Philippe stellte, erhob sich ein Aufruhr in der Menge vor dem Richtplatz. Offensichtlich trieb jemand die Leute mit Gewalt auseinander.
»Platz für den Boten des Königs!«, klang eine schneidende Stimme, und ein junger, in den bunten Farben des Herolds gewandeter Mann sprengte mit seinem starken Pferd rücksichtslos durch die Schaulustigen. Wer nicht rechtzeitig zur Seite sprang, wurde von ihm oder seinen beiden Begleitern niedergeritten.
»Die Hinrichtung wird hiermit auf Weisung des Königs abgebrochen!«, verkündete der Herold, als er die Ehrentribüne des Herzogs erreicht und sein Ross davor platziert hatte. »Die verurteilten Ketzer Sabine de Caresse-Clairevaux und Philippe de Montcours sind unverzüglich in den Kerker zurückzubringen. Sie werden morgen unter meiner persönlichen Aufsicht an den Hof des Königs überführt, wo vor der Hinrichtung weitere Befragungen vorgenommen werden.«
Der Bote hatte seine Nachricht vorgebracht und ließ erst jetzt seine Blicke über den Hinrichtungsplatz schweifen. Vielleicht waren ihm auch der Rauch, das Prasseln des Feuers und der Geruch nach verbranntem Fleisch aufgefallen. Die ersten Scheiterhaufen brannten bereits lichterloh.
Der königliche Bote zog angeekelt die Nase kraus und wandte sich der Ehrentribüne zu. »Es ist doch nicht womöglich zu spät? Habt Ihr die Ketzer schon abgefackelt? Gnade Euch Gott, Herzog, wenn da gerade der letzte Eingeweihte des Gralsgeheimnisses sein Leben aushaucht!«
Henry d’Aquitaine machte eine beschwichtigende Geste, aber der Herold sprach aufgeregt weiter. »Der König ist äußerst erbost, mein Herr! Wie konntet Ihr ihm verschweigen, dass Ihr ein Nest von Parfaits ausgehoben habt? Nachdem wir dachten, die hätten sich alle nach Italien davongemacht. Nach unseren Informationen soll zumindest das Mädchen über den Schatz Bescheid wissen.«
Sabine schwankte, als man ihre
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