Melodie der Sehnsucht (German Edition)
Witwer. Das ist viel einfacher und unverfänglicher als alles andere. Und er ist so nah dran. Das lässt er sich nicht entgehen.«
Florimond war der Verzweiflung nahe. »Umso dringender brauche ich Hilfe«, versuchte er es ein letztes Mal. »Ich kann nicht erlauben, dass man sie nach Avignon schleppt und auch noch foltert. Versteht Ihr nicht? Ohne mich wäre sie jetzt tot, sie hätte es hinter sich. Aber wenn sie den Henkern des Königs in die Hände fällt ...« Florimond rang die Hände.
»Und dazu brauchst du nun unbedingt uns?«, fragte Julian, nach wie vor unwillig. »Gibt es keinen einzigen Ritter am Minnehof der Catherine d’Aquitaine, der freudig zum Wegelagerer wird, wenn eine Dame in Gefahr ist?«
Florimond schüttelte den Kopf. Wenn er ehrlich sein sollte, hatte er gar nicht erst herumgefragt. Die Gefahr war viel zu groß, dass die Geschichte sich verbreitete oder dass ihn sogar einer der Ritter gezielt verriet. Es war tatsächlich so: Die Einzigen, denen er wirklich vertraute, waren diese vier Vagabunden und Gaukler – alles andere als Ritter, aber wagemutig und frech, verschwiegen und einfallsreich – und vor allem ausgestattet mit Herzen am rechten Fleck. Dazu hatte er noch an den Knecht Jean Pierre gedacht, aber der schien seit der Gerichtsverhandlung verschollen – gemeinsam mit seiner Fleurette.
»Wegelagerer war ich mal.« Die Feststellung kam knapp und gelassen aus dem Mund des Riesen Petrus. »Das könn’ wir machen, ist nicht schwer!«
»Du warst Wegelagerer?« Vier Gesichter wandten sich ihm verwundert zu. Petrus senkte verlegen den Kopf. Er stand selten derart im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
»Ja. Ist doch nichts Schlimmes. Na ja, ist schon schlimm, hinterher haben sie alle gehängt. Aber von irgendwas muss man leben, hat mein Papa gesagt. Und die Bande war ein guter Haufen, hat immer Spaß gemacht mit denen.« Petrus wurde ein bisschen rot, aber dann ließ er sich durch Julians und Florimonds geschickte Fragen doch die ganze Geschichte entlocken. Petrus hatte mit seinem Vater zu einer Bande Wegelagerer gehört, bis er dreizehn Jahre alt gewesen war. Dann war die Bande aufgeflogen – der Junge hatte als einziger fliehen können. Schließlich war er auf den Marktplatz gegangen, um seinen Vater und seine Freunde hängen zu sehen. Der Anblick überzeugte ihn von einem ehrlicheren Lebenswandel. Eine Familie von Akrobaten nahm ihn kurz danach auf, und irgendwann traf er dann Petrus, den Zwerg, mit dem er seitdem ein erfolgreiches Duo bildete.
»Jedenfalls ist es nicht schwer«, erklärte der Riese schließlich die Taktik seiner Erzieher. »Man braucht ein paar Knüppel oder Messer oder Heugabeln. Dann sucht man sich einen Wald und versteckt sich, der Witz ist die Überraschung ...«
»Wegelagerer ...« So richtig wollte das Ganze noch nicht in Florimonds Kopf. Angriffe aus dem Hinterhalt gingen zu sehr gegen seine Ehre als Ritter. Aber andererseits war dies die erfolgversprechendste Möglichkeit, selbst gegen Jules de Caresse zu bestehen.
Und vor allem war es die einzige Strategie, die bei Julian, Robert und den beiden Petrus’ so etwas wie Anklang fand.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Beim Aufbruch hatte Sabine eine Art Zuversicht gespürt, aber jetzt schwand sie mit jeder Stunde dieser unseligen Reise. Der vergitterte Karren, in dem man Philippe und sie transportierte, war gänzlich ungefedert, und der Kerl, der das Pferd führte, ließ kein Schlagloch aus. Wahrscheinlich machte er das gar nicht absichtlich, aber der Schinderkarren hatte keinen Bock, von dem aus er gefahren wurde. Er war nur ein Käfig auf Rädern, und das Zugpferd wurde von einem Reitpferd aus geführt. Der Reiter bemerkte die Erschütterungen also gar nicht, denen seine Passagiere ausgesetzt waren, aber Sabine taten schon nach einem halben Tag alle Knochen weh. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was Philippe durchmachte, zumal man ihnen auch allen Komfort genommen hatte, mit dem die Herzogin ihre Kerkerzelle immerhin noch ausgestattet hatte. Es gab keinen Wein mehr und keine Decken. Sabine saß und Philippe lag auf dem blanken Holzboden des Karren. Philippe hatte am Anfang gestöhnt, als sie ihn aus der Zelle in den Karren warfen, dann gewimmert, wenn der Karren seinen zerschlagenen Körper durchschüttelte und schließlich geweint. Nun lag er seit einigen Stunden in schweigender Agonie, die Augen fast unnatürlich weit geöffnet, das Gesicht schmerzverzerrt. Sabine hielt ihn in den Armen, versuchte seinem
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