Melodie der Sehnsucht (German Edition)
honigsüßen Küssen labte. Konnte es sein, dass er dieses Lied heute erst gedichtet hatte? Und war es kein Zufall, dass er es hier, vor ihrem Fenster vortrug? Sabine musste sich zwingen, tief durchzuatmen und sich ihre Erregung nicht anmerken zu lassen. Immerhin war sie nicht die einzige Frau, die Tränen der Sehnsucht und Trauer um den einsamen Wanderer in den Augen hatte, als der Sänger geendet hatte. Florimond d’Aragis’ Stimme war wie bitterer Honig. Süß, aber nicht wohlfeil, lockend und doch wissend um die Vergänglichkeit des Lebens und der Liebe.
»Oh, er ist wundervoll«, seufzte Honorine d’Avignon, eine zierliche junge Frau, die erst kürzlich mit einem Ritter aus Caresses Gefolge verheiratet worden war und vorher der Herzogin als Hofdame diente. »Und wie aufmerksam, uns hier noch spät in der Nacht mit seinen Künsten zu erfreuen, während die anderen Gaukler mit den Rittern zechen!«
»Du bezeichnest ihn doch wohl nicht als Gaukler«, rügte Alice de Marais, eine zarte Grafentochter, ebenfalls erzogen am Hof der Catherine d’Aquitaine. »Florimond ist ein Ritter – ein fahrender zwar, aber er hat doch seine Schwertleite gefeiert. Und er wäre wohl an jedem Hof nicht nur als Gast willkommen. Schließlich versteht er nicht nur die Laute zu schlagen, sondern auch das Schwert zu führen.«
»Zu Ehren seiner Dame«, kicherte Honorine. »Wüsste man doch nur, wen er erwählt.«
»Er hat also keine Geliebte, für die er in den Kampf zieht?«, fragte Sabine vorsichtig – woraufhin die Mädchen sofort über sie herfielen.
»Mon Dieu, Marquise, ein Troubadour hat doch keine ›Geliebte‹!«, erregte sich Honorine, zwinkerte dabei aber neckisch, als wollte sie ihre Worte damit relativieren. »Er weiht der Dame seines Herzens lediglich seine reine Liebe. Niemals würde er wagen, ihr auch nur einen Kuss zu rauben.«
Erneutes Gekicher. Dies schien zwar das hehre Ideal des Minnehofes zu sein, aber in den Nischen der Rosengärten wurden sicher mehr Zärtlichkeiten als Weihegelübte getauscht.
»Nun lasst mal die lästerlichen Reden«, dämpfte eine ältere Besucherin, Marianne de Breton, die Heiterkeit der jungen Frauen. Marianne war seit langem mit Jules de Caresses ältestem Freund verehelicht, aber auch sie hatte viele Jahre an großen Höfen verbracht und kannte die Gepflogenheiten der Hohen Minne. »Ihr macht die junge Marquise ganz verlegen. Dabei kann sie doch nichts dafür, dass sie in den freudlosen Haushaltungen der Ketzer aufgewachsen ist. Sicher hat man ihr da Angst vor unseren Bräuchen gemacht, und ihr schürt jetzt noch die Flamme, damit sie uns für gänzlich verderbt hält.«
Sabine errötete. ›Freudlos‹ hätte sie die Höfe der Katharer nicht genannt, aber es stimmte natürlich, dass sie weniger zur Prunkentfaltung neigten als die Haushalte der Kirchentreuen. Florimond im Hof stimmte inzwischen ein neues, diesmal etwas fröhlicheres Lied an. Sabine musste sich zwingen, Marianne de Breton zu lauschen, die jetzt Anstalten machte, ihr die Geschichte der Minnehöfe zu erläutern.
»Wenn der Tag dämmert, preise ich das Morgenrot, zaubert es doch ein erstes, zartes Leuchten auf die Züge meiner Liebsten ...«
Auch Marianne konnte sich kaum von den Zauberklängen unter dem Fenster losreißen, aber dann sprach sie doch mit fester Stimme: »Schauen Sie, Marquise, der Minnehof dient nicht dem Vergnügen der Ritter – das bleibt den käuflichen Mädchen und Marketenderinnen überlassen, die in ihren Herlagern herumstreunen. Die Dame seines Herzens dagegen soll dem Ritter geistige Führung und moralische Stütze sein, eine Herrin seines Gewissens, vor der er sich für all seine Taten verantworten muss. Die Dame wertet sein Vorgehen, lobt und rügt ihn und erinnert ihn immer wieder an die Tugenden des Ritterstandes. Die Liebe zu ihr ermutigt ihn zu Ehre und Treue, Mäßigkeit, Großzügigkeit und Tapferkeit. Wenn sie ihm ihr Zeichen verleiht, erklärt sie damit, dass sie an ihn glaubt – und er wird all seine Kraft einsetzen, um sie darin zu bestärken.«
»Aber macht sie ihm nicht auch Versprechungen?«, fragte Sabine tonlos. Sie versuchte, sich auf Mariannes Erklärungen zu konzentrieren, aber Florimonds Stimme war wie ein Streicheln, das ihren Körper wärmte und erweckte.
»Wenn der Mittag heraufzieht, beneide ich die Sonne, küssen ihre Strahlen doch das Haar meiner Liebsten und lassen ihre Schönheit voll erblühen ...«
»Nun, zu den Höfischen Tugenden gehört auch die
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