Melodie der Sehnsucht (German Edition)
Atem. Ich war erstarrt, glaubte mich erneut in einem Traum – aber kein Trugbild kann sich an Eurer Schönheit messen.«
Sabine hätte auf diese Schmeichelei genauso lachend reagieren sollen wie eben auf die des Herolds, aber die Stimme des Mannes ließ sie um jede Entgegnung verlegen werden. Vollklingend und sanft, herb und doch süß wie wilder Honig, dabei offensichtlich getragen von tiefstem Ernst perlten die Worte von seinen Lippen.
Dabei hielt er den Kopf noch gesenkt, während er sprach, aber als er sich dann erhob, suchte er offen und wie staunend Sabines Blick.
»Herrin, einst sah ich die dunkelsten Seen in fernsten Landen, unendlich tief, niemand hat je ihren Grund geschaut. Ich wollte mich verlieren in ihrem Anblick, der mir eine Ahnung gab von Ewigkeit, und seitdem nagt die Sehnsucht in mir, sie irgendwann zu ergründen. Und nun, Herrin, finde ich diese Tiefe in Euren Augen. Ich weiß nicht, ob ich die Kraft aufbringe, mich jemals wieder abzuwenden.«
Sabine suchte verzweifelt nach einer passenden Antwort, möglichst einer, die seine Schmeicheleien ins Lächerliche zog. Aber sie konnte sich nicht helfen – auch sie empfand die Starre, die der Sprecher beschrieb, auch sie verlor sich in seinem Gesicht. Aber hatte sie es vorher nicht schon einmal gesehen? Und diese Stimme gehört? Hatte er nicht von einem Traum gesprochen, einem erneuten Traum?
»Wie nennt man Euch, mein Herr?«, fragte sie zögernd. »Oder fürchtet Ihr auch, ein Zauber könnte Euch bedrohen?«
Der Mann lächelte und wirkte etwas traurig.
»Den Zauber habt Ihr längst über mich geworfen, auch wenn Ihr Euch nicht an mich erinnert. Man nennt mich Florimond d’Aragis ...«
»Der Troubadour?«, fragte Sabine. »Ihr habt auf meiner Hochzeit gesungen.«
Und einen ungeheuren Eindruck auf ihre Brautjungfern gemacht! Sabine versuchte, sich zu erinnern, was die Mädchen aufgeregt über ihn erzählt hatten. Florimond d’Aragis war im gesamten Abendland als einer der besten Sänger bekannt. Dazu rühmte man seine Taten als Ritter und Kämpfer für ritterliche Tugenden. Obwohl noch jung hatte er schon viele Länder bereist, viele Lieder gelernt – und zweifellos viele Frauen geliebt! Sabine zwang sich, ihren Blick endlich von ihm abzuwenden, aber das war nicht leicht. Florimond d’Aragis hatte ein schmales, edles Gesicht, dessen Züge jedoch nicht hart wirkten wie die vieler kampferprobter Ritter. Gleichermaßen hatten sie jedoch nichts weichlich-weibisches wie die Gesichter so mancher Hofschranzen, die stets im Haus saßen und sich nie den Wind um die Nasen wehen ließen. Sabine fühlte sich bei Florimonds Antlitz an das Ideal römischer und griechischer Bildhauer erinnert, die junge Gesichter mit geraden Nasen, fein geschnittenen Lippen und perfekt geschwungenen Brauen für die Ewigkeit festhielten. Allerdings zeigten Florimonds Züge nicht die starre Schönheit einer Marmorstatue, sondern wirkten ungemein lebendig. Jede kleinste Gefühlsregung schien sich darin zu spiegeln, Lachfältchen blitzten auf, aber auch Kummer und Schmerz schienen sein Gesicht gezeichnet zu haben. Oder las Sabine das alles gar nicht in seinem von weichen braunen Locken umrahmten Antlitz, sondern in den dunkelbraunen Augen, in denen goldene Lichter zu wirbeln schienen, wenn er den Blick aufmerksam wandern ließ? Das Gold in den Augen gab seinem Ausdruck etwas stetig Leuchtendes wie ein tröstendes Licht in der Nacht.
»Ein Sänger, ein Dichter, ein Streiter, ein Wanderer«, antwortete D’Aragis mit seiner samtenen Stimme.
»Für die Dame seines Herzens«, bemerkte Sabine. Es sollte spöttisch klingen, aber sie vernahm selbst und schalt sich dafür, dass eine Frage darin mitschwang.
Der Haushofmeister unterbrach, bevor der Troubadour antworten konnte.
»Ist es jetzt genug der Schmeichelei?«, fragte er unhöflich. »Hebt Euch noch einige Lieder für unser Fest auf, Monsieur! Hier ist nicht die Zeit und nicht der Ort dafür. Die Marquise zieht es sicher heraus aus dem Regen!«
Regen? Sabine nahm jetzt erst wahr, dass es zu nieseln begonnen hatte. Der ganze Tag war grau gewesen, und jetzt brach der Abend früh herein. Warum nur hatte sie bis eben noch das Gefühl gehabt, von sanfter Mittagssonne gewärmt zu werden?
»Man wird Euch ein Quartier anweisen«, wandte sie sich unsicher an D’Aragis.
Der lächelte, und das Aufleuchten seiner Augen schien die Sonne wieder zu wecken. »Ich will mein Lager auch mit Freuden auf diesem Hof aufschlagen, wenn ich
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