Melodie der Sehnsucht (German Edition)
dabei nur in Eurer Nähe bin.«
Sabine fand ihre Fassung endlich wieder. »Dann würdet Ihr Euch aber erkälten und morgen krächzen wie ein Rabe«, gab sie zurück.
D’Aragis lachte. »Nicht wenn Euer Licht auf mich scheint.«
Dem Haushofmeister reichte es inzwischen, schließlich wurde der Regen ständig stärker. »Also folgen Sie mir nun, Monsieur, oder folgen Sie mir nicht! Mir ist es gleichgültig, wo Sie Ihr Lager aufschlagen, aber ich gehe jetzt ins Trockene«, schimpfte er.
Sabine wies lächelnd auf die Laute, die am Sattel des geduldigen Pferdes hing.
»Wenn Ihr schon auf Euch selbst keine Rücksicht nehmen wollt, so bringt wenigstens das arme Instrument ins Haus«, bemerkte sie. »Sonst ist es gleich verstimmt und krächzt mit Euch um die Wette. Und dann könnte ich Euch kaum ein Zeichen zum Lohn geben, wenn Ihr morgen für mich singt.«
Damit wandte sie sich ab und wunderte sich über sich selbst. Was war ihr da bloß über die Lippen gekommen? Tändeleien, wie Damen und Troubadoure sie scherzhaft austauschten? Hatte sie dem Mann ernstlich versprochen, ihn mit einem ›Zeichen‹ – meist einem Tuch oder einer Spange von ihrer Kleidung – zu belohnen, wenn er an ihrem Hofe sang? Sie, die Parfaite? ›Beinahe-Parfaite!‹, dachte sie – und spürte zum ersten Mal keine Trauer darüber, sondern fast etwas wie Übermut. Sie hätte laufen und springen mögen wie ein kleines Mädchen, als sie jetzt die Stufen zu ihrer Kemenate hinaufeilte.
Obwohl das eigentliche Fest erst am nächsten Tag stattfand, wurde natürlich auch schon an diesem Abend im Rittersaal gezecht und gefeiert – allerdings blieben die Männer dabei unter sich. Sabine lud die Frauen der Gäste derweil in ihre Kemenate, ließ eher leichte Speisen auftragen und einen guten Wein aus ihrer Heimat dazu reichen. Zu ihrer Überraschung fand sie Freude an der unbeschwerten, weiblichen Gesellschaft. Zwar kannte sie nur wenige der Gräfinnen, Marquisen und Edelfräulein, über die ihre Gäste genüsslich klatschten, aber das Gespräch lenkte sie immerhin von ihren Gedanken ab, die seit den Nachmittagsstunden nur um ihr Zusammentreffen mit Florimond d’Aragis kreisten. Ein Troubadour, ein Sänger – und mehr? Die behütet aufgewachsene Sabine wusste wenig von den Bräuchen an Liebeshöfen, aber was sie mitunter hörte, trieb ihr die Schamröte ins Gesicht. Da rühmten sich fahrende Ritter ganz ungeniert ihrer tiefen Liebe zu verheirateten Frauen, man traf sich zu verschwiegenen Stelldicheins in Rosengärten, und das alles offensichtlich unter den Augen der Dame des Hauses! Was mochten die zugehörigen Herren dazu sagen? Sabine hätte den Frauen in ihrer Kemenate, von denen viele schon am Hof der Herzogin von Aquitanien gedient hatten, gern einige Fragen gestellt. Aber sie wusste nicht, wie sie das Gespräch darauf bringen sollte und mochte auch nicht linkisch und unwissend erscheinen. So passte sie sich an und redete nur von Kleidern und Stoffen und wie schwierig es war, Preziosen aus maurischen Landen zu erstehen, wenn Kriege auf dem spanischen Festland tobten.
Dann jedoch geschah etwas, das die Frauen ganz von selbst auf das Thema brachte, das Sabine am Herzen lag. Spät am Abend – die ersten Damen sprachen schon davon, sich zurückzuziehen – erklangen Lautenschläge unter den Fenstern der Kemenate. Und dann erhob sich eine Männerstimme über die Musik. Volltönend und warm, schmeichelnd und bittersüß hoben sich die Worte in der alten Sprache Okzitaniens zu den Frauen herauf.
»Fols! Per que duc que mal trate? – Oh, warum muss ich so leiden? Sehn ich mich doch nur nach einer Liebe so reich ...«
Sabine erkannte die Stimme und erstarrte erneut, verwirrt über all die Gefühle, die allein ihr Timbre in ihr aufsteigen ließ. Florimonds Gesang schien an ihr Innerstes zu rühren, rief Trauer und Freude in ihr wach, aber auch das seltsame Sehnen, das sie verzweifelt verdrängte, wenn François sie unsittlich berührte. Hier nun schien es nicht verwerflich und schmutzig. Florimonds Stimme erhöhte es vielmehr, als weise es eine geheime Straße zur Seligkeit, die eine höhere Macht allen Menschen enthüllte, so sie nur tief und wahrhaft liebten. Der Troubadour pries die Schönheit der Frau, der das Lied gewidmet war, und auch wenn Sabine nicht alles verstand, so trieb es ihr doch das Blut in die Wangen, als er eine dunkelhaarige Fee beschrieb, die den Wanderer zum Aufstieg in die Berge verführte und an tiefblauen Seen mit
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