Melodie des Südens
gestrigen Tag zu Yves Chamard gewesen war, und heute früh war sie auch nicht freundlicher zu ihm. Was auch immer er getan haben mochte, dass sie so wütend war, sie würde darüber hinwegkommen. Und wenn sie sich nicht bald wieder anders benahm, würde Pearl ihr einen Hinweis geben.
Am Vormittag überquerten sie einen Fluss, der durch eine Wiese floss. Pearl wunderte sich, dass Yves sie von der Straße wegführte und abstieg. Sein Vater kam mit seinem Pferd nah an den Wagen, und Yves kletterte zu Gabriel hinein und hockte auf der Seitenwand.
»Miss Johnston, würden Sie bitte dazukommen?«, bat Yves Marianne.
Sie ritt neben Monsieur Chamard, blieb aber auf dem Pferd. Was für ein Gesicht sie zog, dachte Pearl. Es ging ihr nicht gut, wenn sie so wütend war, aber sie war zu stur, um damit wieder aufzuhören.
»Wir müssen die Sache klären, bevor wir in die Stadt kommen«, sagte Yves. »Mein Vater hat meine Befürchtungen bestätigt. Im Staat Mississippi sind die Möglichkeiten, einen Sklaven freizulassen, ausgesprochen beschränkt. Und in Louisiana ist es keinen Deut einfacher.«
Pearl hielt sich an Luke fest. Ihr Herz klopfte heftig, und sie wusste, Luke konnte das durch ihren Arm spüren. Sie würden sie doch nicht frei lassen.
»Um Luke oder Pearl frei zu lassen, müsste Ihr Vater, Miss Johnston, eine Petition ans Parlament richten. Und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass diese Petition positiv beantwortet würde, solange das politische Klima so ist, wie es ist.« Yves sah Luke an. »Die Regierung müsste dir die Freiheit geben, Luke, die Johnstons können es gar nicht tun.«
Lukes Gesicht war unbewegt, und Pearl blickte nur in ihren Schoß. Warum sie es geglaubt hatte, wusste sie jetzt auch nicht mehr. Sie waren Sklaven, und daran würde sich nie etwas ändern.
Marianne ergriff das Wort. »Das heißt, Luke und Pearl bekommen keine Freilassungspapiere. Aber sie können doch trotzdem bei Miss Ginny leben, es weiß doch keiner davon!«
»Gesetzt den Fall«, erklärte Monsieur Chamard, »Luke hat eine gute Ernte, was weiß ich, sagen wir: Mais. Oder er braucht eine neue Axt. Oder Pearl braucht Stoff, Schuhe, Nähnadeln. Luke fährt zum Markt.« Er sah sie alle der Reihe nach an. »Er würde sofort von irgendjemandem angegangen, und ohne Papiere wäre es ihm nicht nur verboten, Handel zu treiben, er würde vermutlich sofort gefangen genommen.«
Still saßen sie auf der Wiese, während die Pferde grasten und eine blaue Libelle über ihnen brummte. Pearl schluckte schwer. Das hieß, sie würde Luke wieder verlieren, er würde nicht bei ihr und DuPree bleiben. Als Luke ihre Hand drückte, fühlte sich ihr Hals an, als schlüge ihr Herz darin. Er verabschiedete sich schon jetzt von ihr.
»Aber irgendeiner von den Nachbarn würde doch mit ihnen Handel treiben«, ließ sich Marianne nicht entmutigen. Sie sah Luke an. »Oder du könntest …«
Luke schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, das ist doch kein Leben, wenn man jede Minute fürchten muss, dass einen der Nachbar an die Sklavenhändler verrät.«
Er würde wieder weglaufen, ganz klar, dachte Pearl. Sie sah Missy eindringlich in die Augen und legte all ihre Sehnsucht in diesen Blick. Dieser Mann, Yves, liebte Marianne. Sie musste ihn fragen, er würde das in Ordnung bringen.
Marianne sah Yves an, schweigend, aber mit sehr beredtem Blick. Auch jetzt noch, trotzt ihrer Enttäuschung, fühlte sie sich eng verbunden mit ihm. Und Pearl brauchte seine Hilfe.
»Na ja«, antwortete er ihr. »Es gibt vielleicht noch eine andere Möglichkeit.«
Monsieur Chamard erklärte ihnen seinen Plan mit William Tadman. »Dann würdet ihr nach dem Gesetz Mr Tadman gehören, Luke, aber ihr könntet auf Miss Ginnys Farm leben. Und wenn du mit deinen Waren in die Stadt kämst, hättest du Papiere von Mr Tadman, die dir das erlauben. Du würdest unter seinem Schutz stehen.«
»Und wenn dieser Mr Tadman irgendwann nicht mehr will, dass ich bei Ginny lebe?«, fragte Luke den älteren Chamard. »Wenn er irgendwann beschließt, dass er Pearl bei sich in der Küche haben will und mich irgendwo auf seinen Baumwollfeldern?«
»Ich kenne Mr Tadman, und ich habe Vertrauen zu ihm. Eine andere Garantie kann ich euch nicht geben.«
»Miss Ginny, verstehen Sie das alles?«, fragte Yves.
Ihre Augen funkelten. »Ich bin nur alt, nicht blöd.« Als Gabriel lachte, bekam er auch sein Fett ab. »Sei bloß still, Caleb, oder wie auch immer du heißen magst. Dieser andere Caleb und seine
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