Melodie des Südens
fragte Yves. »Ich weiß einen Teich da hinten im Wald, da könnte ich dir beibringen, wie man Steine richtig hüpfen lässt.«
Marianne neigte den Kopf und verkniff sich das Lächeln. »Ich weiß, wie man das macht.«
»Ach was, du wirfst immer noch wie ein Mädchen.« Er kam die Treppe herunter, und sie gingen zusammen ein paar Schritte.
»Ist der Wagen fertig für morgen?«
Yves nickte. »Gabe sagt, wenn er den Fuß auf ein Kissen legt, geht es gut.«
Sie gingen zusammen bis zu dem überwachsenen Fahrweg. Ab und zu berührten sich ihre Hände. Er wird jetzt gleich meine Hand nehmen, dachte sie. Dann werden wir Hand in Hand gehen wie zwei Menschen, die zusammengehören. Als er einen Schritt von ihr wegtrat, war sie enttäuscht. Sollte sie seine Hand nehmen? Sie konnte sich eine derartige Kühnheit kaum vorstellen.
Er hielt einen Zweig zurück, dann gingen sie ruhig weiter. »Was war das vorhin am Schuppen?«
»Mit Miss Ginny?« Sie blieb stehen, spürte den Stolz in sich und erklärte ihm ihren Plan. »Ich entlasse Pearl und Luke in die Freiheit. Sie bleiben hier, sorgen für Miss Ginny und die Farm, und eines Tages wird sie ihnen gehören.«
Er runzelte die Stirn. »Hast du dir das allein ausgedacht?«
»Ja, warum nicht? Es ist ja niemand sonst hier, der irgendwelche Ansprüche auf Pearl und Luke erheben kann.«
»Du hättest dich vielleicht mit mir oder meinem Vater beraten können.«
»Warum? Warum hast ausgerechnet du etwas dagegen, Pearl und Luke in ein selbstständiges, freies Leben zu entlassen?«
»Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass die beiden frei sind. Ich widerspreche nur deiner Annahme, dass du das so einfach beschließen kannst.«
Marianne verschränkte die Arme vor der Brust, und ihr Gesicht wurde ebenso ernst wie seines. »In dieser Angelegenheit glaube ich, dass ich sehr wohl beschließen kann.«
»Was du da vorschlägst, ist gegen das Gesetz, das weißt du.«
Warum regte er sich so auf?, fragte sie sich. »Ja, in Louisiana würde das Gesetz mir verbieten, sie freizulassen, aber hier sind wir in Mississippi.«
Yves ging ein paar Schritte hin und her. »Wie kommst du darauf, dass es in Mississippi anders ist? Auch hier ist es nicht mehr erlaubt, Sklaven freizulassen. Du kannst das nicht machen, du bringst dich unnötig in Gefahr.«
»Aber es ist nötig. Nicht für mich, aber für Luke und Pearl. Das hier ist die denkbar beste Gelegenheit für die beiden. Niemand zu Hause weiß, dass Luke eingefangen worden ist. Und Pearl … ich kann sagen, dass ich Pearl bei Martha gelassen habe, um dort auszuhelfen.«
Yves Gesicht wurde jetzt richtig grimmig. »Und wenn dein Vater heimkommt? Und wenn die anderen Sklaven herausfinden, dass du die beiden freigelassen hast?«
»Warum streiten wir eigentlich über diese Sache? Du bist ebenso sehr gegen die Sklaverei wie ich, und wenn es stimmt, was Joseph erzählt, riskierst du jedes Mal deinen Hals, wenn du als Fluchthelfer unterwegs bist.«
»Dass ich mein Leben riskiere, ist die eine Sache. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Aber du bist eine Frau, und du musst auf deinen Ruf achten, deine …«
»Ach, es geht darum, dass ich eine Frau bin? Eine Frau kann keine Prinzipien haben? Eine Frau kann nicht für ihre Meinung einstehen?«
»Das habe ich nicht gesagt. Aber du musst weiterhin hier leben, in den Salons von New Orleans, unter den Plantagenbesitzern am Fluss.«
»Genau wie du.«
Er hörte auf zu reden und sah sie an. »Nein, nicht genau wie ich«, sagte er ruhig. »Ich werde Louisiana verlassen, weil ich eine Stelle in New York antrete.«
»Eine Stelle?«
»Ich schreibe für verschiedene Zeitungen im Norden.«
Warum hatte sie nichts davon gewusst? »Aber du …«
»Darüber wollte ich mit dir sprechen. Dass ich gehen muss. Ich wollte versuchen, es dir zu erklären. Wenn Lincoln im November die Wahl gewinnt …«
Er hatte ihr nie einen Heiratsantrag machen wollen.
»Wenn Lincoln im November die Wahl gewinnt, werden sich einige Staaten für unabhängig erklären. In ein paar Monaten könnten wir Krieg haben, und ich werde nicht für die Sklaverei kämpfen.«
Marianne starrte ihn an, sah ihm in die ernsten, haselbraunen Augen. Ein Mann mit Prinzipien. Ein Mann mit Kraft und Willen. Der Mann, der ihr Herz für sich gewonnen hatte. Der sie berührt hatte, dem sie gestattet hatte, sie zu küssen, bis sie kaum noch aufrecht stehen konnte. Und er hatte keinerlei Absicht, sie zu heiraten. Sie drehte sich um. Ihr war plötzlich
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