Melodie des Südens
rechnen, dass du morgen unterliegst.«
Marcel zeigte ihm ein kleines, grimmiges Lächeln. »Nein, nicht ernsthaft. Aber in Augenblicken wie diesen tritt uns die eigene Sterblichkeit doch deutlicher ins Bewusstsein.«
»Also Degen. Ich werde welche besorgen und mit Roland sprechen. Wir werden früh zu Abend essen und früh ins Bett gehen, wir zwei.«
Marcel nickte, aber er war mit den Gedanken weit weg.
Es war nicht einfach, darüber nachzudenken, dass man einen anderen Mann töten würde, vor allem jetzt, Wochen nach der Beleidigung, nachdem die Leidenschaft doch deutlich abgekühlt war. Aber Yves zweifelte nicht daran, dass sein Bruder es ernst meinte. Er würde Adam Johnston für die Verletzung seiner Schwester umbringen.
Adam kehrte ins Haus der Johnstons im amerikanischen Viertel oberhalb der Canal Street zurück. Der Faubourg Ste. Marie hatte nicht den europäischen Charme des Vieux Carré, wo die Chamards und die DeBlieux ihre Stadthäuser hatten, aber dafür waren die amerikanischen Anwesen modern, groß und extravagant.
Adam betrat die riesige Eingangshalle und reichte Annie seinen Hut, bevor er sich so schnell wie möglich in sein Zimmer begab. Er kam sich hinterhältig vor, weil er seinen Vater und Marianne mied, aber in letzter Zeit sahen sie ihn beide nicht besonders freundlich an, und er wusste nicht, wie er ihren Respekt zurückgewinnen sollte, geschweige denn seinen eigenen Respekt vor sich selbst. Sobald seine Blutergüsse nicht mehr zu sehen gewesen waren, hatte er Magnolias verlassen. Sein Vater hatte ihm gesagt, dass er Mariannes Hoffnung auf eine Heirat mit Yves Chamard zerstört hatte – ein weiterer Kummer, den er tragen musste. Und da er es unerträglich fand, die Verachtung seines Vaters und die Enttäuschung Mariannes länger anzusehen, war er nach Baton Rouge geflüchtet.
Er hatte Nicolette geschlagen. Er hatte es tatsächlich getan. Dieser Gedanke ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er konnte es kaum glauben; er war immer noch nicht in der Lage, zu glauben, dass er so etwas getan hatte. Aber er erinnerte sich, wenn auch nur bruchstückhaft. Er wusste, dass er es getan hatte. Dabei liebte er sie doch! Hoffnungslos und verzweifelt, aber er liebte sie.
In seinem Zimmer angekommen, nahm er Papier aus der Schreibtischschublade und tauchte seine Feder ins Tintenfass. Er musste nicht lange nachdenken, er wusste genau, was er schreiben wollte. »Lieber Vater«, schrieb er.
Als Adam seinen Kummer, seine Reue, seine Zerknirschung zu Papier gebracht hatte, faltete er den Brief zusammen und versiegelte ihn mit Wachs. Dann nahm er ein neues Blatt von dem elfenbeinfarbenen Briefpapier und schrieb: »Meine liebste Schwester.«
Dieser Brief fiel ihm wesentlich schwerer. Mehr noch als die Verachtung seines Vaters hatte ihn die Erkenntnis geschmerzt, dass er Mariannes Zuneigung verspielt hatte. Irgendwie hatte er immer gewusst, dass er die Erwartungen seines Vaters enttäuschte, aber Marianne … so verrückt sie sich auch manchmal benahm, war sie doch immer seine liebevolle, hingebungsvolle kleine Schwester gewesen. Die Tränen liefen ihm übers Gesicht, als er sie seiner Liebe und seiner Reue versicherte.
»Nach allem, was ich Nicolette Chamard angetan habe«, schrieb er, »habe ich keinen Anspruch mehr auf eheliches Glück. Aber Du, liebe Schwester, hast alles Recht der Welt, die Freuden der Ehe zu genießen. Ich habe Vater gebeten, sich mit seinen alten Freunden, den Chamards, zu versöhnen, egal was passiert. Denn jeder Ehrenmann hätte sich in jener Nacht genauso verhalten, wie es Marcel und Yves getan haben. Ich kann mir nicht denken, dass Vater Deinem Glück im Wege stehen wird, wenn Yves zu Dir zurückkehrt, was ihm sicher ein Herzensanliegen ist. Denn sein Herz ist so treu wie Deines, meine Liebe.«
Nun blieb ihm noch ein Brief zu schreiben, der schwierigste von allen. Adam schrieb ihren Namen, schluchzte auf und ließ die Feder fallen, sodass die Tinte über das Papier spritzte. Dann vergrub er das Gesicht in seinen Händen, wohl zum tausendsten Mal von Trauer und Scham überwältigt.
Er hatte keinen Alkohol mehr angerührt, seit ihm Marianne an jenem Morgen eröffnet hatte, was er angerichtet hatte. Und er würde nie wieder trinken. Aber der Alkohol war keine Entschuldigung. Ein Mann, der eine Frau schlug, betrunken oder nicht, konnte keine Vergebung erwarten. Aber er musste ihr schreiben. Nicolette musste wissen, wie es um ihn stand, musste von seiner wahrhaftigen Reue erfahren, und
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