Melodie des Südens
sie allein abpassen müssen, vielleicht nach der Messe.
Er hätte nicht so lange warten dürfen. Er hätte sie gleich aufsuchen sollen, irgendwo in einem Laden, auf der Straße. Was, wenn sie auf ihn gewartet hatte und sich fragte, warum er nicht kam? Aber dann tauchte wieder das Bild ihres zornigen Gesichts vor ihm auf, als sie ihm gesagt hatte, er solle gehen. Wahrscheinlich würde sie ihn nie wieder sehen wollen.
Marcel, sehr schick in beigefarbenen Hosen und dunkelbrauner Jacke, schreckte ihn aus seiner Einsamkeit hoch. »Genug gegrübelt, Bruderherz, komm mit mir zum Hutmacher, ich brauche einen neuen Zylinder, und wenn ich es recht bedenke, ist deiner wohl auch eine Schande. Sieht so aus, als hätte sich jemand draufgesetzt.«
Yves zog ein langes Gesicht.
Marcel ließ den jovialen Ton fallen und setzte sich. »Es sieht dir gar nicht ähnlich, dass du hier herumschmollst. Nicolette geht es gut, sie singt heute Abend im Peppercorn. Was ist denn los mit dir?«
Yves zögerte. »Weißt du noch, an dem Abend, als du nach Magnolias kamst? Da hatte ich gerade um Marianne Johnstons Hand angehalten, und alles war in schönster Ordnung.«
»Ach du lieber Himmel, Yves, das tut mir leid!«
Sie hörten, dass der Butler jemandem die Tür öffnete, ihn in den Salon führte und dann zum Arbeitszimmer kam. Er kratzte an der Tür, trat ein und reichte Marcel eine Visitenkarte. »Da ist ein Herr, der Sie sehen möchte.
»Du glaubst es nicht, Yves! Adam Johnston.«
Das konnte nichts Gutes bedeuten, dachte Yves. Wäre der Kerl doch bloß geblieben, wo er war.
Gemeinsam betraten sie den Salon. Sie luden ihn nicht ein, Platz zu nehmen oder ein Glas mit ihnen zu trinken.
»Mr Johnston«, sagte Marcel zu seinem Cousin, dem Freund seiner Kindheit, dem Neffen seiner Mutter.
»Meine Herren.«
Yves betrachtete Adams flott gestreifte Seidenweste und das weich gefaltete Halstuch mit der perlengeschmückten Krawattennadel. Die gute Kleidung des Mannes konnte nicht verbergen, wie zerstört sein Gesicht aussah. In den Wochen nach der Szene auf Magnolias war Adam regelrecht gealtert, seine Augen waren verquollen und hatten rote Ränder. Die Koteletten, die er sich hatte wachsen lassen, konnten die bleichen, eingefallen Wangen nicht kaschieren. Und seine Nase wies eine ausgeprägte Biegung auf.
»Wie geht es Miss Johnston?«, konnte Yves sich nicht verkneifen zu fragen.
Abgelenkt und ungeduldig antwortete Adam: »Ich bin sicher, sie genießt die Ballsaison.« Dann wandte er sich wieder an Marcel. »Machen wir es kurz. Ich bitte um Entschuldigung für die Verzögerung meines Besuchs, aber ich war für einige Zeit in Baton Rouge beschäftigt.« Er legte seinen Hut auf den Tisch zwischen den Fenstern und sah die beiden Männer dann direkt an. »Ich bin gekommen, um Ihre Forderung zum Duell zu beantworten, Mr Chamard.«
Yves erwachte aus seiner Erstarrung. »Aber ich habe Ihnen das Nasenbein gebrochen!«
Adam neigte den Kopf kurz in seine Richtung. »Ich erinnere mich nicht mehr an alle Einzelheiten des betreffenden Abends, aber ich glaube, die Forderung Ihres Bruders hat die älteren Rechte.«
Wollte der Mann Selbstmord begehen? Er wusste doch, was für ein guter Schütze Marcel war.
»Mein Sekundant wird Robert Bonheur sein.«
Marcel hob eine Augenbraue, Yves nickte. »Mein Bruder wird mir sekundieren. Welche Waffe wählen Sie?«
»Degen.« Er nahm den Hut vom Tisch. »Dann bis zum Morgengrauen.« Er verließ das Haus allein.
»Verdammt noch mal! Ich hätte nie gedacht, dass er das im Kreuz hat«, sagte Yves.
»Ja, ich hatte allmählich auch meine Zweifel.«
Yves lehnte sich gegen das Fenster und beobachtete, wie Adam die Straße überquerte. Marcel war mit dem Degen möglicherweise noch besser als mit der Pistole. Adam war ein armer Irrer. »Er sieht verheerend aus.«
»Das ist es, was die Schande aus einem Mann macht.«
Und die Reue. »Willst du ihn umbringen?«
»Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es so läuft.«
Mariannes Bruder. Adam hatte keine Chance. »Sind deine Papiere in Ordnung? Sind Lucinda und das Baby versorgt?«
Marcel drehte sich vom Fenster weg. »Robichaux und Goldman haben alles in der Hand. Ich würde es zu schätzen wissen, wenn du dich für ein Weilchen um Lucinda kümmerst, bis sie jemand anderen findet. Geld wird sie nicht brauchen, aber sie und das Baby wären wohl … nun, traurig, wenn ich morgen sterben sollte.«
»Adam ist doch kein Fechter. Du wirst doch nicht ernsthaft damit
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