Melodie des Südens
weiß schon, was du meinst. Du bist derjenige, der ihm das Nasenbein gebrochen hat.«
Degen, dachte Yves. Er würde Degen als Waffen wählen, mit denen konnte man sich gegenseitig kaum umbringen.
Bertrand Chamard und Gabriel fuhren mit dem nächsten Schiff den Fluss hinunter, um Cleo und Nicolette am See aufzusuchen. Gabriel wollte sich selbst um ihre ärztliche Behandlung kümmern.
Yves und Marcel blieben zu Hause und warteten auf Adams Antwort auf ihre Forderung zum Duell. Ein paar Tage gaben sie ihm, um wieder ganz nüchtern zu werden, aber sie hörten nichts von ihm.
»Elender Feigling«, brummte Marcel.
Yves konnte seine Gefühle kaum in eine Reihe bringen. Er dachte voller Abscheu an Adam, den er nie besonders gemocht hatte. Die nun gezeigte Feigheit bestätigte nur, was er immer schon gedacht hatte: Adam war ein schwacher, kleiner, wertloser Kerl. Für das, was er Nicolette angetan hatte, verdiente er alles, was ihm in einem Duell zustoßen konnte.
Aber er war Mariannes Bruder, und sie liebte ihn. Tatsächlich hatte sie sich auf Adams Seite geschlagen, als sie neben ihm auf dem Fußboden im Speisezimmer gesessen hatte. Yves erinnerte sich so deutlich an ihr Gesicht, das rot und zornig gewesen war. Sie hatte gesagt, er solle gehen. Sie verabscheute ihn.
Die Tage wurden ihm entsetzlich lang. Yves begann in den Zeitungen nach den Ankündigungen der Pferderennen zu suchen. Bald ging die Saison los, und er würde nach New Orleans reisen. Wenn Adam Johnston sein Rückgrat doch noch wiederfand, würde er wohl wissen, wo er ihn finden konnte.
Das Wetter wurde kühler, und die Mücken starben. Allmählich öffneten die Läden, Restaurants, Theater und Konzerthallen wieder. Die wohlhabenden Leute aus ganz Louisiana und dem südlichen Teil von Mississippi strömten in die Stadt. New Orleans funkelte und schwelgte in Musik, Tanz und gutem Essen.
Das aufregendste Ereignis der beginnenden Saison war die Hochzeit von Albany Johnston und der Witwe Marguerite Sandrine. Die Chamards waren nicht eingeladen.
Yves hielt sich abseits des gesellschaftlichen Lebens. Sollte er auf irgendeinem Ball oder einer Abendveranstaltung Marianne Johnston treffen, konnte er nicht einfach auf sie zugehen und sagen: »Guten Abend, Miss Johnston, wunderbares Wetter, nicht wahr?« Sie würde ihm den Rücken zudrehen, und alle Anwesenden würden hören, wie ihm das Herz brach.
Aber er verließ Louisiana noch nicht. Er brachte es einfach nicht über sich, so weit weg von ihr zu sein. So schrieb er einen Brief an den Herausgeber der Zeitung in New York und teilte ihm mit, seine Ankunft würde sich auf unabsehbare Zeit verschieben.
Beim Pferderennen sorgte er dafür, dass sein Vermögen wieder wuchs. Hier hatte er auch das Geld gewonnen, mit dem er Mariannes Perlenohrringe ausgelöst hatte, und er hatte eine kleine Summe für die gemeinsame Zukunft zurückgelegt. Nun schien er nicht mehr verlieren zu können, so sorglos er auch wettete.
Aber so lang seine Glückssträhne auch war, das Einzige, was ihn wirklich interessierte, war der Wahlkampf. Es würde knapp werden, drei demokratische Kandidaten standen gegen Mr Lincoln, und so waren die Gegenstimmen nicht vereint.
Nach der Wahl würde er gehen, sagte er sich. Die Zeitung würde ihm die Stelle nicht auf unbegrenzte Zeit offenhalten, und in New Orleans konnte er nicht bleiben. Ständig suchte er nach Marianne, auf der Straße, bei jedem Konzert und im Theater, aber es war fast, als würde sie sich ebenso gut vor ihm verstecken, wie er sich vor ihr verbarg.
Anfang November wurde Abraham Lincoln zum nächsten Präsident der Vereinigten Staaten gewählt. Yves war überzeugt, dass die Abspaltung der Südstaaten unvermeidlich war. Und dann würde es Krieg geben. Junge Männer aus seinem Bekanntenkreis würden sich daran berauschen, für ihren geliebten Süden zu kämpfen. Sie hatten keine Vorstellung von den Schrecken eines Krieges, und doch bereiteten sie sich schon darauf vor, Soldaten zu werden.
In der Woche vor Weihnachten machte South Carolina den Anfang und erklärte die Trennung von der Union. Yves entschloss sich, Marianne noch einmal aufzusuchen. Wenn sie ihn wirklich verabscheute, konnte er gehen. Er setzte sich ins Arbeitszimmer und schrieb einen kleinen Brief, in dem er sie um ein Treffen bat, aber nachdem er einige Worte geschrieben hatte, zerknüllte er das Papier und feuerte es durchs Zimmer. Wenn ihr Vater den Brief in die Hände bekam, würde sie ihn wohl nie sehen. Er würde
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