Melville
ihn dann entlässt, würde er rapide
und sicher auch schmerzhaft diese zehn Jahre im Zeitraffer
nachaltern. Es könnte auch den Tod des Organismus bedeuten, einfach,
weil der Schock so groß ist. Du ghulst ihn doch, oder? Es macht
jedenfalls den Anschein.”.
„Ja,
das tue ich. Damit ich mir seiner Loyalität absolut sicher sein
kann. Er erlebt und hört Dinge, die er unter keinen Umständen
preisgeben darf. Deshalb der Zwang... und weil es angenehmer ist.”.
Ich zwinkere Andrew leicht zu, doch er scheint gar nicht von diesem
Gedanken angetan.
„In
meinem Clan und auch für mich selbst ist das ein absolutes Tabu. Man
beraubt niemanden seiner Selbstbestimmung. Wer einen Brujah mit
seinem Blut füttert, sollte mit seinem Tod rechnen.”.
„Wirklich,
so extrem?”.
„Was
heißt extrem? Es ist eine Form von Zwang und Unterwerfung, die kein
Normaldenkender gutheißen kann! Ich verstehe, dass es notwendig für
Ventrue erscheint ihre Dienerschaft mit ihrem Blut an sich zu
fesseln, aber es ist eine abscheuliche Sache... wenn man mal so
darüber nachdenkt.”.
„Heißt
das, ihr ghult auch eure baldigen Gezeugten nicht? Eure zukünftigen
Mitglieder?”. Er lacht kurz amüsiert.
„Das
ist ein Verhalten, dass du fast als ‘ventruespezifisch’
bezeichnen kannst. Ihr legt sehr viel Wert darauf, nicht wahr? ‘Bloß
nicht den Falschen zeugen!’ Wie lange warst du denn vorher Ghul,
wenn ich fragen darf?”.
„Knapp
fünf Jahre.”. Er nickt ernst und betrachtet mich, fast mit einer
Spur Mitleid in den Augen.
„Das
waren wohl die besten Jahre meines noch atmenden Daseins, Andrew, du
brauchst nicht so zu schauen als ob es ein Verbrechen an mir war.”.
„Schon
gut, da sind wir beide einfach anders... sicher auch durch die
Betreuung unserer Clans.”.
„Ja,
das mag sein.”.
„Hast
du noch andere Fragen?”. Zum Glück will er das Thema wechseln und
dankbar nehme ich diese Vorlage an.
„Ja,
Werwölfe...”.
„Habe
ich es doch richtig gedeutet.“ und ein breites Grinsen legt sich
auf sein Gesicht.
„Ja,
hast du. Also, wie muss man sich das vorstellen? Wandeln die bei
Vollmond durch die Stadt und reißen Menschen?”.
„Nein...
naja... nicht ganz. Sie sind sich ihrer Art ebenso bewusst wie wir,
denke ich. Das sind keine ‘normalen Bürger’ die plötzlich
mutieren und sich am nächsten Tag nicht erinnern. Sie fristen ihr
Dasein ebenso als Parallelexistenz zu den Menschen wie wir. Meistens
leben sie außerhalb von Städten in Herden zusammen. Sie können
aussehen wie Menschen oder wie die Wesen, die wir als Werwölfe
erkennen würden. Sie haben auch verschiedene Clans,... ach ja, und
sie hassen uns und riechen uns auf Meilen entfernt.”.
„Woher
weißt du das alles?”.
„Ich
habe mal mit Einem gesprochen.”.
„Gesprochen?“,
ich sehe ihn mit großen Augen an.
„Ja,
damals in Swansea waren merkwürdige Wesen, wie wir es doch allesamt
sind, nicht sehr häufig. Da habe ich per Zufall Einen kennengelernt
und wir haben uns unterhalten. Und wenn ich dir einen Rat geben darf.
Wenn du einem begegnest, dann renne davon so schnell du kannst,
Melville!”.
„Gut
zu wissen. Danke.”. Wegrennen? Das ich nicht lache. Wir Ventrue
haben auch ganz eigene Mittel und es überrascht mich, dass Andrew
permanent annimmt, ich könnte nicht selbst auf mich aufpassen.
„Wie
steht es denn mit den anderen Fabel- oder Märchenwesen? Noch andere
Horrorkreaturen da draußen, von denen ich wissen müsste?”.
„Reichen
dir Vampire und Werwölfe nicht?“ und eine irritierende Welle der
Vertrautheit schwappt plötzlich von ihm zu mir herüber, während er
mir zuzwinkert und dabei verschmitzt lächelt.
„Doch,
doch... im Grunde schon.”. Ich räuspere mich hörbar und füge an
„Ich
glaube wir haben uns genug unterhalten, Andrew. Ich danke dir für
dein geteiltes Wissen. Vielleicht haben wir ja noch einmal die
Gelegenheit dazu.”. Ich erhebe mich und sehe sein fragendes Gesicht
über das abrupte Ende unserer Unterhaltung. Doch er erhebt sich dann
auch und es klingt fast etwas enttäuscht, als er sagt
„Okay,
Melville. Wenn du meinst. Gerne doch... wann ist der Termin morgen
nochmal?”.
„Um
zweiundzwanzig Uhr, Andrew. Ich werde versuchen ab halb zehn bei ihm
zu warten.”.
„Du
allein?”.
„Wollt
ihr denn mitkommen?”. Er hebt kurz einatmend die Schultern und sagt
„Aber
ja, wir sind ein Klüngel. Wir gehen zusammen.”.
„Das
können wir gerne tun, aber ich kann nicht garantieren, dass er
Weitere Kostenlose Bücher