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Melville

Melville

Titel: Melville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Elter
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Aftershave in
der Nase, eben noch ganz beseelt von der Vorstellung, ihn bei mir zu
haben und jetzt spüre ich den Schmerz seiner kräftigen Hand im
Gesicht. Ich schweige beschämt, es ist wir früher als Kind, das
Gefühl hat sich nicht verändert. Er atmet noch einmal tief durch,
dreht sich herum und verlässt schnell das Zimmer und kurz darauf das
Haus.
    Und
kaum habe ich diesen lähmenden Schockzustand überwunden, werfe ich
die Decke vom Bett, stehe auf und gehe nach unten. Ich bin dermaßen
wütend über mich selbst. Warum habe ich mich nicht verteidigt?
Warum habe ich zugelassen, dass er mich so abstraft? Ich hätte ihn
mit einem Blick auf die Knie zwingen sollen, ihn unterwürfig betteln
lassen. Ich hätte ihn zu seinem abrupten Abschied befragen können,
ihm klar machen, wie unnötig die Art war, mich dermaßen im Stich zu
lassen. Nachdem ich alles für ihn geopfert habe. Meine Zukunft,
meine Domäne, meine Heimat. Dem Feind ausgeliefert, nur um ihn zu
retten. Und jetzt dankt er es mir, indem er mich wegen dieser
Lappalie schlägt? Nein, so bin ich nicht mehr... doch er ist zu
schnell gegangen. Ich sollte ihn gerade erneut rufen, ihn geistig
niederringen und ihm mein Blut füttern, jede Nacht, bis er mir nicht
mehr entkommen kann, bis er ganz mein ist.
    Doch
kaum stehe ich an der zersplitterten Eingangstür, verwerfe ich
diesen abstrusen Plan wieder. Doch der Wunsch bleibt. Nur so könnte
ich ihn haben, ohne dass er mir wieder dermaßen wehtun kann. Ich
hasse es, wenn es schmerzt, wenn es eine Wunde ist, die man nicht
einfach ausheilen kann. Und vielleicht hasse ich dafür sogar ihn.
    Und
ich leite diese Wut in mir ab, indem ich die mich umgebende
toreadorartige Ordnung vernichte, die einfarbigen Tapeten von den
Wänden reiße und die vielen unnötigen Dekorationen zerstöre und
entsorge. Die meiste Zeit der restlichen Nacht verbringe ich damit,
mich nicht mehr in dieser Strenge gefangen zu fühlen und mich nicht
mehr diesem künstlerischem Prinzip zu unterwerfen. Es ist wirklich
befreiend. Und genau in diesen körperlichen Arbeitsstunden
beschließe ich, nicht nur die Stadt zu verlassen, sondern auch die
ganze Insel. Weit weg, so dass ich Andrew nicht ausversehen rufe und
er wenige Stunden später vor mir steht. Wenigstens so weit, dass ich
es selbst erkennen und beenden kann. Was liegt bei meinen
Sprachkenntnissen näher als nach Deutschland auszuwandern? Amerika
ist keine Option, dieses Land entspricht nicht meinen
Wertevorstellungen. Doch Frankfurt, mit seinen Finanztempeln, den
europäischen Wurzeln und sicher regierenden Ventrue, ist wirklich
eine Alternative. Welche Stadt in Europa kommt meinen Wünschen sonst
so nah? Und Andrew wird sich kein Privatflug leisten können und mit
der Bahn dauert es eine kleine Ewigkeit, wenn es nicht sogar durch
die Fahrzeiten unmöglich ist, ohne zu übertagen. Also Frankfurt.
    In
den letzten Minuten der Nacht schreibe ich meinem Senegal eine Email,
mit der Bitte, mir die Kontaktdaten der Frankfurter Domäne zu
nennen. Wozu genau, erwähne ich aber nicht, es ist nur eine
Vorbereitung.

Der Fehlbaren jüngstes Gericht

    Endlich
ist die ersehnte Nacht gekommen. Alle höheren Mitglieder der
Londoner Domäne sind geladen, um an diesem Prozess der Richtung
teilzuhaben. Der große Hauptsaal des Elysiums ist bis auf den
letzten Platz besetzt und Vanessa, Daniel und ich sitzen als
Teilnehmer in den vorderen Reihen. Nur mit der nötigsten Form der
Höflichkeit habe ich die beiden begrüßt und mit etwas Abstand zu
ihnen einen Sitzplatz gesucht. In der vordersten Reihe sitzen die
verbleibenden Primogene und um sie herum die Ancillae. Es fühlt sich
gut an, einer unter diesen bedeutenden Persönlichkeiten sein zu
dürfen. Die Bühne ist noch mit einem Vorhang vor den Blicken der
Zuschauer geschützt und die Stimmung im Raum ist durch den Anlass
der Veranstaltung verhalten. Es wird kaum geredet und wenn, nur
hinter vorgehaltener Hand. Nur die weniger Involvierten, in den
hinteren Reihen, scheinen sich zu unterhalten. Ich nutze die
Wartezeit bis zum Beginn der Demonstration der mächtigen
Gerechtigkeit, um meine privaten Schritte noch einmal zu durchdenken.
Es sind nur noch zwei Nächte bis zur großen Neujahsfeier, ich habe
James umgehend nach meinem Entschluss mit dem Verpacken meines
wichtigsten Hab und Guts beauftragt und schriftlich bereits die
Zusage zur Umsiedlung in die Frankfurter Domäne erhalten. Das Gast-
und Jagdrecht wurde mir gewährt und ich habe, sicherlich

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