Melville
Manchester oder Birmingham? Ich bin mir nicht sicher. Diese
Optionen würden jedenfalls keinen Gesamtverkauf meiner Firma
erfordern, aber gleichzeitig reizen mich diese Orte nicht wirklich.
Ich bin, ehrlich gesagt, etwas ratlos und mit der steigenden Anzahl
an Nächten, die ich damit verbringe meine weitere Entwicklung
abzuschätzen, bin ich weniger darauf Bedacht auch wirklich diesen
Schritt zu wagen.
Und
mit dieser neuentdeckten Routine, direkt nach dem Erwachen mein Haus
zu verlassen, mich mit Arbeit abzulenken, um dann in den letzten
Minuten erst wieder zuhause einzukehren, fühle ich mich im
erheblichen Maße an meine Kükenphase erinnert. Daran, wie es war,
jeden Abend von Benedict in das Clanshaus gebracht und abgeholt zu
werden. Meinen Verpflichtungen nachzugehen und keinen Raum für
Müßiggang oder abwegige Gedanken zu haben. Ich habe das Gefühl,
das Richtige zu tun, doch rede ich nach bereits zwei Nächten mit so
gut wie niemandem mehr. Meine einzigen wirklichen Gespräche
entstehen beim Informationsaustausch mit meiner Sekretärin, meinem
Fahrer oder James. Und diese Gespräche sind alle geprägt von
unpersönlichen Themen, Unterwürfigkeit und gehorsamem Schweigen,
solange ich keine Nachfragen habe.
In
der Nacht vom vierundzwanzigsten auf den fünfundzwanzigsten Dezember
passiert dann wohl das Unvermeidliche. Heute Nacht wollte ich
eigentlich den Feiertag in meinem Bürokomplex nutzen, um einmal die
Räumlichkeit zu begehen und mich selbst über das aktuelle
Arbeitsumfeld meiner Arbeitnehmer zu informieren.
Doch
kaum öffne ich die Augen in der Dunkelheit, spüre ich die Lethargie
in meinen Knochen. Ich bin nicht im Stande, mich zu erheben und mich
den Plänen gemäß auf den Weg zu begeben. Ich bleibe einfach
liegen, starre an die dunkle Zimmerdecke und bewege mich nicht. Ich
atme nicht und verursache keine Geräusche mit meinen seidenen Laken.
Es ist so still, dass es sich fast unnatürlich anhört, friedlicher
als mir in diesem Moment lieb ist. Ich habe James für heute Nacht
private Freizeit gegönnt, das Haus ist leer und nach den letzten
Wochen fällt es besonders auf. Ich bin froh, dass keine
spitzfindigen Kommentare oder anschuldigende Blicke mehr auf mich
warten, aber dennoch fehlt etwas. Ich weiß nur nicht was.
Meine
rechte Hand wandert ganz langsam zu der freien Fläche neben mir, zu
der Seite, die Andrew mehrere Nächte bevorzugte. Auch ohne ihn liege
ich jetzt eher links, es ist wohl mehr unterbewusst, aber die Leere
neben mir fühlt sich jetzt kalt und abstoßend an, so dass ich auf
meiner Seite verbleibe. Dann verharre ich wieder und fühle nur in
diese Abwesenheit hinein. Ja, etwas fehlt.
Ich
achte nicht auf die Uhr, wann ich mich dann schließlich erhebe, gehe
langsam, fast schon schlürfend in das Bad und schalte das Licht ein.
Ich sehe nicht in den Spiegel, will mein Antlitz nicht sehen. Ich
bleibe vor dem Waschbecken stehen und stütze mich auf ihm mit beiden
Händen ab. Und ohne besonderen Grund verriegle ich den Abfluss und
lasse kaltes Wasser in das große Porzellanbecken laufen. Ich
betrachte das stetige Fließen und wie sich der Wasserspiegel erhebt,
als wäre es ein Naturschauspiel. Nachdem es in meinen Augen
angefüllt genug ist, drehe ich das Wasser wieder ab und beuge mich
behutsam herunter. Ganz langsam tauche ich mit meinem Gesicht in das
Nass, immer weiter, bis selbst meine Ohren unter der Oberfläche
sind. Ich halte die Augen geschlossen und fühle nur, wie die Kälte
sich langsam durch mein Gewebe frisst. Keine Blasen steigen empor,
wie damals als Kind, wenn ich in der Wanne untertauchte. Kein Drang
sich dem Wasser zu entziehen und es erinnert mich wieder einmal
daran, was ich jetzt bin. Untot.
Dann,
mit einem Ruck, erhebe ich mich wieder, werfe den Kopf zurück und
viele einzelne Wassertropfen verteilen sich im Raum, fallen
geräuschvoll gegen das Glas des Spiegels und auf die Fliesen. Ich
fühle das Wasser an mir heruntergleiten, wie es mein Shirt benetzt
und, von meinem Körper ungewärmt, seinen Weg sucht.
Ich
öffne die Augen wieder und sofort sticht mir das Aftershave von
Andrew in die Augen. Soll ich... soll ich wirklich? Mit einem
Handtuch trockne ich endlich mein Gesicht und meinen Nacken, lasse
das Wasser ablaufen und blicke immer wieder zu dem gläsernen Flakon.
Ich
greife schließlich nach ihm und öffne den Schraubverschluss. Sofort
legt sich der Duft warm um meine Gedanken. Erinnert mich an ihn und
seine Nähe, wie er sich jeden Abend für mich
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