Melville
Hinsicht bietet.
Ich
habe es tunlichst vermieden, mich noch einmal dermaßen den
Erinnerungen an Andrew hinzugeben und bin froh, dass mich mein neues
Umfeld so fordert. Sogar sein Foto habe ich mitgenommen und kann es
betrachten, ohne in depressive Stimmungen zu verfallen. Die Liebe ist
mir nicht vergönnt, also brauche ich auch nicht weiter trauern und
gebe mich mit meinen anderen hervorragenden Lebensmöglichkeiten
zufrieden.
Doch
eine Sache habe ich ganz besonders im Hinterkopf behalten. Die Worte
von Alfred über seine Wahl eines Pfades, seine Entsagung der
moralischen und optisch so auffälligen Abstrafung meiner Art. Ich
bin es leid, jedesmal mit dem Schlimmsten rechnen zu müssen, nur
weil ich doch meinem eigenen inneren Trieb folge, meiner ganz
privaten Natur. Denn gerade in Deutschland ist es so viel einfacher.
Die Gesetze weniger streng und die Clubs mannigfaltig. Keine ominösen
Hinterhöfe sind mehr nötig, keine Pseudoclubs denen jede Nacht eine
Razzia drohen könnte. Es ist befreiender, doch gleichzeitig auch
verlockender.
Somit
plane ich meinen Übertritt in ein neues Verständnis von Ehre und
Anstand, die Geschäfte sind wichtig, nicht die Personen. Angestellte
sind gut zu behandeln, solange sie sich keine Fehler erlauben und vor
allem werde ich keine eigenen Fehler dulden können. Die Perfektion
ist das oberste Ziel, Freundlichkeiten und Hilfestellungen die nicht
meinem Vorteil gereichen, sind nicht beachtenswert. Und ich bin mir
sicher, wenn ich hart genug an meiner Änderung arbeite, ist es auch
mir möglich einer Art Pfad zu folgen. Ich nenne ihn den ‚Pfad der
Macht‘. Es muss einfach klappen, wenn ich irgendwann einmal im
Reinen mit mir selbst werden möchte.
Über
einen Kollegen im Clan habe ich auch erfahren, dass Alfred durchaus
meinem Vorschlag gefolgt ist. Zur Silvesterfeier stürmte wohl ein
großer Trupp des Sabbats in die Räumlichkeiten des Londoner
Elysiums. Sie haben das herrschende Durcheinander und die Trunkenheit
vieler Anwesender genutzt, um eine Schneise in die Mitglieder der
Londoner Domäne zu schlagen. Wenn ich richtig informiert wurde, hat
sich die Domäne so gut wie halbiert. Ich habe mich dem Boten dieser
Nachricht gegenüber ganz schockiert präsentiert und er hat mich zu
meiner Wahl gelobt, rechtzeitig in das sichere Frankfurt
überzusiedeln. Ob Daniel oder Vanessa unter den Opfern sind, konnte
ich nicht erfahren und ich will auch nicht danach fragen. Doch ich
empfinde kein Mitleid, London war gierig und krank, es hat nichts
anderes verdient als in dieser Zeit der Schwäche attackiert zu
werden. Ich empfinde es ja als ein klein wenig unkreativ von Alfred,
so meiner Vorgabe zu folgen, aber vielleicht war er der Einzige, der
mich wirklich durchschaut hat und sich sicher sein konnte, dass ich
ihn und mich nicht verrate.
So
verbringe ich die Nächte in meiner neuen Welt, fleißig und eifrig,
sehnsüchtig und verdorben. Es fühlt sich an wie ein großes Spiel
und seitdem ich den Titel des Ancilla innehabe, sind die Spielregeln
zu meinen Gunsten erleichtert worden.
Eine ungewöhnliche Bitte
Ich
bin in meine Geschäftspapiere vertieft. Mein neues Büro ist zwar
nicht ganz so herrschaftlich wie mein letztes in London, dennoch kann
es sich, nach nur drei Monaten Aufenthalt in der Frankfurter Domäne,
sehen lassen. Mein schwarzer Schreibtisch dominiert den Raum. Die
zwei kleinen Besucherstühle wirken etwas verloren, doch das ist
natürlich Absicht. Meine Geschäftspartner sollen sich bei mir bloß
nicht allzu wohl fühlen.Es klopft an meiner Tür und
Nora, meine ghulische Türwache und persönliche Assistentin, steht
in der Tür.
„Herr
Walters, ein Mitarbeiter von Frau Schirmer, und sein Küken wünschen
Sie zu sprechen Herr Lancaster.“, sagt sie mit fragendem Blick.
Seinen Namen hat sie englischbetont ausgesprochen, eventuell ein
Landsmann? „ Herein mit Herrn Walters.“, antworte ich
belustigt. Die ersten Ventrue Lakaien treten also uneingeladen an
meine Türschwelle. Anscheinend macht mein Name langsam die
Runde.Ein leicht übergewichtiger Mann um die Vierzig,
doch er ist mit Gewissheit älter, bei uns Kainskindern kann man sich
ja auf Äußerlichkeiten nicht so verlassen, betritt den Raum.
Gefolgt von einem schönen Jüngling, vielleicht Ende Zwanzig. Mein
Blick heftet sich kurz an sein Gesicht, ich nehme jede Eigenschaft
seiner Schönheit fast analytisch auf. Die Wangen zart und blass, das
fast ohrlange, dunkelbraun, beinahe schwarze Haar, die hellen
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