Melville
nie unsere gesellschaftlichen Regeln aus den Augen.
Immer höflich und zuvorkommend, niemals ins Wort fallend und immer
darauf achtend, dass er meinem Ruf förderlich ist. Das Interesse von
Frau von Harbing an Liam beobachte ich aber besonders aufmerksam.
Denn genau sie wollte ich um Mithilfe bei der Förderung von Liams
besonderen Talenten bitten. Ihr reges Interesse ist aber auch ihm
nicht entgangen, seine Wortwahl könnte man teilweise als schüchtern
auslegen. Solange es sie friedlich stimmt, ist es mir recht. In
einfacherer Wortwahl könnte man also sagen, dass sie ihn süß
findet. Derweil unterhalte ich mich angeregt mit Herrn Hoffmann, ein
wichtiger Geschäftsmann, Berater für eine Ratingagentur, sowie
gelegentlicher Gastredner an der Frankfurter Universität. Es ist
eine Freude sich mit ihm zu unterhalten. Ich erzähle ihm von meiner
Ausbildung, er erinnert sich sogar an einen meiner Professoren, die
ich an der Universität von Bristol kennengelernt habe. Wir lachen
fast vertraut über Eigenheiten dieses Professors. Es läuft perfekt.
Nach etwa einer halben Stunde tauschen wir unsere Visitenkarten und
ich verabschiede mich mit Liam von den beiden.
„Jetzt
noch ein kleiner Abstecher zu Frau Mühlbach und dann gehen wir. Ich
möchte ihr aber nochmal dein Gesicht in Erinnerung rufen. Das Amt
des Primogen und gute Beziehungen zu ihm, oder besser gesagt ihr,
sind sehr wichtig.“. Ich gehe mit ihm zu Frau Mühlbach. Sie
unterhält sich angeregt mit ihrem Sekretär und der Toreador
Primogenin, anscheinend geht es um Terminabsprachen. Liam und ich
machen uns bemerkbar, aber warten in angemessener Entfernung darauf,
dass sie Zeit für uns findet. Nach etwa fünf Minuten scheint sie
ansprechbar zu sein, mit leicht geneigtem Haupt gehen wir beide auf
sie zu, Liam hinter mir.
„Sehr
geehrte Primogenin Mühlbach, ich danke Ihnen für Ihre Zeit.”, sie
reicht mir die Hand, die ich natürlich höflich mit einem
angedeuteten Kuss begrüße. Ich deute auf Liam und sage
„Dies
ist mein Küken, Liam Balthus.“.
„Ja,
ich weiß, Herr Lancaster. Ich erinnere mich noch an diesen
ungewöhnlichen Vorfall.“, sie blickt kurz zu ihm und dann wieder
auf mich.
„Ich
hoffe, Sie haben sich gut in Ihre neue Domäne eingelebt, Herr
Lancaster?“.
„Natürlich,
Frau Mühlbach, in diesem Zusammenhang wollte ich Ihnen auch noch
einmal für Ihre Hilfe danken. Ohne Sie wäre das Ganze sicherlich
mit mehr Schwierigkeiten verbunden gewesen. Es ist ein gutes Gefühl,
so empfangen worden zu sein.“.
„Sie
sollten wissen, Herr Lancaster, dass mein Erzeuger ein enger
Vertrauter von Rufus Safford war und Ihnen gegenüber durchaus nicht
abgeneigt ist. Er hat mir verraten, dass er es bedauerlich fand, was
in London passiert ist und ich teile seine Ansicht durchaus.“. Sie
lächelt kurz charmant und sagt weiter
„Jedenfalls
freut es mich, Sie in meinem Clanshaus wissen zu dürfen. Nächste
Woche findet ein Treffen der Ancillae und mir statt, Sie sollten sich
diesen Termin vormerken.“.
„Es
ist mir eine Ehre, Frau Mühlbach. Gibt es ein ganz bestimmtes Thema,
wenn ich fragen darf, oder nur ein zwangloses Treffen?”.
„Wie
Sie sicherlich wissen, sind unsere Treffen niemals zwanglos.”, sie
lacht kurz.
„Aber
abgesehen davon, geht es nur um einen kleinen Austausch zwischen mir
und meinem Clan. Ich bitte auf den neuesten Stand gebracht zu werden.
Es sind für uns zwar gerade ruhige Zeiten, dennoch sollte man seine
Ressourcen und Möglichkeiten kennen.“.
„Ich
werde selbstverständlich anwesend sein.“, sage ich und verbeuge
mich wieder leicht.
„Ich
möchte Sie auch gar nicht weiter aufhalten. Ich wünsche Ihnen noch
einen angenehmen Abend, Primogenin.“. Sie nickt kurz als Zeichen
und Liam und ich treten zurück.
Wir
setzen uns ins Auto, Frank fährt sanft an und wir verlassen das
Parkhaus des Elysiums. Die Nacht der Menschen nimmt uns wieder in
ihre Arme auf.
„Es
lief heute Abend alles sehr gut, Liam. Du hast dich sehr aufmerksam
und respektvoll verhalten.“.
„Danke,
Herr Lancaster...“.
„Vor
allem mit Frau von Harbing wirst du, falls meine Anfrage positiv
angenommen wird, in näherer Zukunft mehr zu tun haben. Sie soll dich
die höheren Fähigkeiten der Beherrschung lehren.“.
„Ich
verstehe... Herr Lancaster, kann ich eine Frage stellen?“.
„Natürlich,
Liam, was liegt dir auf dem Herzen?”.
„Frau
von Harbing, nun ja, Sie machte den Eindruck auf mich, als ob Sie
eventuell mehr als nur meine
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