Melville
Zimmer, kann ihn aber
nicht sehen. Nur den großen, jetzt mehr bräunlichen Fleck, den er
auf dem Bett hinterlassen hat. Morgen werde ich James darum bitten
müssen, sich einigermaßen darum zu kümmern, damit man wenigstens
die Flüssigkeit nicht richtig deutet und dann für das zerstörte
Bett aufkommen. Ich höre ihn aus dem Badezimmer. Die Tür ist nur
angelehnt, ich blicke vorsichtig hinein. Er liegt, noch komplett
bekleidet, in der Badewanne und lässt sich mit dem Duschkopf Wasser
auf den Körper laufen. Dabei singt er mit geschlossenen Augen
einzelne Strophen von Popsongs aus den 90ern. Immer wieder bringt er
sich so selbst zum Lachen. Da ich weiß, dass er auch bald
einschlafen wird, ich aber nicht möchte, dass dann das Zimmer von
Wasser geflutet wird, trete ich zu ihm in das Bad.
„Hey,
Melville!“, ruft er mir zu. Er lallt nicht mehr so schlimm und
anscheinend weiß er jetzt gerade nicht, was vor etwa einer Stunde
zwischen uns passiert ist. Ich gehe zum Wasserhahn und schließe ihn.
„Hallo,
Liam.“, ich lächle ihm zu. Ich bin gar nicht wütend auf ihn,
immer noch schmecke ich die betörende Würze des Kainitenblutes auf
meiner Zunge. Sie stimmt mich recht friedlich, denn nichts Höheres
gibt es zu erreichen.
„Willst
du nicht aufstehen und dir etwas Trockenes anziehen?”.
„Nein!“,
ruft er mir fröhlich zu und fängt wieder an zu singen.
„Gut,
aber lass das Wasser aus, Liam.“.
„Aye,
aye, Captain!“, sagt er und legt seine Hand zu einem Soldatengruß
an die Stirn. Ich lache leicht und drehe mich wieder um.
Kaum
in meinem eigenen Zimmer angekommen, falle ich auch schon in das Bett
und in selige Ruhe.
Am
nächsten Abend ziehe ich mich als Erstes um und betrachte mich im
Spiegel. Es ist keine optische Änderung erkennbar. Ich lächle mir
selbst zu, denn mich hat zwar nichts körperlich verändert, doch
spüre ich, dass ich einen Vorteil aus dem Angriff gestern gewonnen
habe. Ja, einen großen Vorteil sogar und ich erinnere mich an
Andrews Worte, dass man durch die Diablerie auch mehr gewinnen kann
als nur sündig köstliche Vitae.
Ich
trete aus dem Zimmer. James ist bereits damit beschäftigt, die
Überbleibsel von Liam einigermaßen zu vertuschen. Ich erkenne, wie
er in seinem Schlafzimmer mit einem Eimer neben dem Bett kniet und
den Lappen immer wieder auswringt. Ich gehe an der Tür vorbei weiter
zum Salon. Dort sehe ich ihn sitzen, wie ein Häufchen Elend. Als er
mich wahrnimmt, erhebt er sich mit gesenktem Haupt und geht auf mich
zu. Ich bleibe stehen und betrachte ihn eingehend. Vor mir geht er
dann auf die Knie, beugt seinen Kopf und sagt
„Es
gibt keine Entschuldigung für meine Verfehlung gestern, keine
Bestrafung die es wieder gut machen könnte. Ich würde es verstehen
und akzeptieren, Herr Lancaster, wenn Sie mich in Frankfurt dem
Prinzen übergeben und meinen Tod fordern.”.
Seine
Worte entwaffnen mich und schockieren mich auch ein wenig. Ich greife
an Liams Schultern und deute ihm, dass er sich erheben soll.
„Liam,
bitte, gestern warst du nicht du selbst. Drogen haben aus dir
gesprochen und ich war zu inkompetent dich davon abzuhalten, von dem
verseuchten Gefäß zu trinken. Es ist nichts weiter passiert und ich
wäre ein Narr, dafür deinen Tod zu fordern.”. Er steht zwar jetzt
vor mir, aber hat seinen Blick immer noch fest auf den Boden
gerichtet.
„Ich
fürchte, ich war gestern mehr ich selbst als es den Anschein hatte.
Ich kann mich an alles erinnern...”, er seufzt kurz und lässt die
Schultern noch weiter hängen.
„Meine
Taten tragen ihren Ursprung in meiner Sehnsucht frei zu sein, nur
mein geschwächter Wille hat sie nicht mehr unter Kontrolle halten
können wie sonst.”. Ich überlege kurz, dann sage ich
„Vielleicht
fällt es dir leichter, wenn wir doch einen gewissen Grad an Abstand
zwischen uns beiden erhalten. Und damit deine Taten, die du ja nach
eigenen Aussagen doch selbst gesteuert hast, nicht ungestraft
bleiben, solltest du weiter wieder beim Siezen bleiben Liam.“.
„Ja,
Herr Lancaster.”, antwortet er und nickt leicht.
„Und
hilf James, damit er dann unsere Sachen packen kann. Ich möchte auf
keinen Fall den Flug verpassen. Ich werde derweil mit der Rezeption
telefonieren und die Bezahlung des Bettes klären.”. Er nickt stumm
und geht. Ich blicke ihm nachdenklich hinterher.
Keine
sechs Stunden später betreten wir unser Zuhause, denn ich betrachte
es mittlerweile nicht nur als mein Heim, sondern auch als Liams.
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