Melville
Schädel ein und vergräbt sie in der
Erde. Diejenigen, die es schaffen mithilfe ihres Tieres und der
richtigen Motivation wieder hervorzukriechen, sind meist nicht mehr
in der Lage Mitgefühl und Verständnis für Mitmenschen
zu zeigen. Sie leben nur noch für sich selbst und ihre
Überzeugung. Leider ist dieser Weg für erfahrene Kainskinder nicht
möglich, auch wenn ich meinen Zöglingen manchmal gerne den Schädel
einschlagen möchte.”, sagt er und betrachtet mich eingehend. Was
denkt sich dieses Kind eigentlich? Ich bin mir nicht sicher, ob ich
mir das länger gefallen lassen muss. Er benimmt sich großkotzig und
selbstverliebt und fast schon erinnert er mich auch ein wenig an
Alfred. Doch selbst Alfred hatte angenehmere Facetten als er.
„Wird
mein Wechsel auch einfach nur von Gewalt geprägt sein oder geht es
auch galanter?“, frage ich schnippisch. Er lacht plötzlich laut
auf.
„Wie
du mich beschnupperst und bewertest, es ist fast schon erheiternd.
Ich denke, du nimmst an, dass ich deutlich unter deinem Niveau bin.
Ein Kind, ein Großmaul. Habe ich Recht, Melville?”. Und während
mein inneres Ich nach
vorne prischt und ihm laut entgegenschreit ‘So ist es, Freundchen,
und deine bescheuerten Lehren kannst du dir sonst wo hinstecken!’,
antworte ich
„Ich
denke, dass du sehr viel mehr bist als du augenscheinlich versuchst
darzustellen. Du wirst sicher älter sein als ich und als Mentor auch
erfahrener in diesen Dingen. Also akzeptiere ich diesen Weg.”.
Alleine schon, weil mein Leben bei Sophia sonst sicher ein Ende
hätte. Er betrachtet mich wieder eingehend, überhaupt komme ich mir
vor, wie bei einem Psychologen, der mit einzelnen Stilmitteln
versucht mich aus der Reserve zu locken. Aber das ist sicher auch
sein Ziel. Er will die Maske der Höflichkeit brechen sehen. Aber so
einfach ist das nicht.
Nach
einigen Minuten, in denen er nur wieder auf und ab geht und mich
immer wieder ansieht antwortet er
„Nein,
Gewalt spielt in diesem Pfad keine Rolle. Eher geht es um Würde und
klare Zielsetzungen ohne auf Kleinigkeiten, die sich einem in den Weg
stellen, achten zu müssen. Und ich bin mir sicher, wenn ich dir auch
nur eine Ohrfeige verpassen würde, würdest du in Raserei verfallen.
Auch wenn es in deinem Fall sicher nur bei ausfallenden
Beschimpfungen bleiben würde, du scheinst mir nicht der körperlich
betonte Typ zu sein.“ und während er das anmerkt, sehe ich Liam
vor meinem geistigen Auge. Wie er röchelt, die Axt in seinem Hals
steckt und er mich um Gnade anfleht. Ein finsteres, unterbewusstes
Lächeln huscht über mein Gesicht. Auch wenn ich mich vor einigen
Tagen noch schlecht nach der Tat fühlte, so empfinde ich jetzt doch
keine Reue. Ganz im Gegenteil.
„Du
kannst gehen, Melville, und du darfst morgen wieder kommen. Dann
fangen wir an.”. Ich sehe ihn plötzlich überrascht an. Wie lange
bin ich jetzt bei ihm gewesen, zwanzig Minuten?
„Jetzt
schon? Sollen wir nicht einfach weiter machen?“.
„Nein!
Morgen werden wir fortfahren.“, sagt er scharf. Ich neige kurz mein
Haupt in seine Richtung und gehe zum Flur. Ich nehme selbst meinen
Mantel vom Haken und warte auch nicht darauf, dass er mir die Tür
öffnet.
„Dann
bis morgen.“, sage ich knapp und entschwinde. Ich höre nur, wie er
die Tür hinter mir schließt. Ein komischer Kerl. Ich habe ein
ungutes Gefühl.
So
ziehen sich meine Unterrichtseinheiten dahin. Er konfrontiert mich,
beleidigt mich, lobt mich. Es ergibt für mich kaum Sinn, was er
eigentlich von mir möchte. Er ist trocken wie ein Stein, humorvolle
Andeutungen versteht er nicht, ebenso wenig wie umgangssprachliche
Floskeln der deutschen Sprache. Ich bin auch nicht der beste deutsche
Redner, aber so sachlich und nüchtern wie er, bin ich bei weitem
nicht. Auf Nachfrage von Sophia kann ich ihr auch keine positiven
Hoffnungen zu meinem Unterricht machen. Doch sie lächelt nur und
redet mir Mut zu.
Die
erste Woche vergeht, die zweite Woche vergeht. Jeden Tag sitze ich
mehrere Stunden bei ihm und wir unterhalten uns. Er teilt keine
persönlichen Erfahrungen mit mir, nur seine Meinungen und
Belehrungen zu meinen Ansichten darf ich mir anhören. Immer wieder
möchte er von mir wissen, was ich von mir selbst erwarte. Wie ich
meine Umwelt sehe und welche Gedanken ich mir zu diesem Unleben
mache. Ich merke immer wieder, dass er mich im Grunde verabscheut,
allein dafür, dass ich ein Ventrue bin. Nein, nicht einfach nur ein
Ventrue, sondern ein
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