Melville
als
Geschäftsführer der ‘Lancaster Ltd.’, brachliegen lasse und
mich stattdessen um die finanziellen Belange meines Clans kümmere.
Nächtelang sitze ich mit ähnlich ausgerichteten Clanskollegen
zusammen und wir erarbeiten Woche um Woche, Monat um Monat die
Investitionspläne, Aktienübersichten und Bestände der weltweit
fluktuierenden Gelder der Ventrue von London. Ein riesiges
Maschengeflecht aus Gesellschaftsanleihen, Fondanteilen, Aktien und
Rohstoffoptionen. Wir entscheiden, ob wir lieber in die Rüstung oder
die Forschung investieren, lassen Kredite platzen und ganze
Landstriche der Armut entgegengehen oder erheben Firmen, die es im
Grunde nicht verdient haben, in den Finanzhimmel, um von der so
geschaffenen Geldblase zu profitieren.
Doch
auch, wenn diese Tätigkeiten der Machtstufe entsprechen, die ich mir
damals als beginnender Student immer gewünscht habe, fehlt etwas.
Es
sind diese einzigen hellen Momente der Jagd, in denen ich für
Sekundenbruchteile meine Pflichten und Regeln vergesse, nur um mich
dann von meiner Beute loszureißen, um den verinnerlichten Regeln von
Benedict gehorsam folgen zu können. Ein fortwährender Kampf in mir.
Macht haben und der Macht erlegen sein.
Inzwischen
ist mir auch bewusst, welche Merkmale meinem Beuteschema entsprechen.
Es ist anscheinend die subjektive Schönheit, die ich in meinem
Gegenüber erkenne, die mich lockt. Die Art von schönen Wesen, die
ich im College niemals angesprochen hätte. Und heute weiß ich, dass
ich es damals nicht nur vermieden habe, um mein Studium nicht zu
gefährden, sondern auch, weil ich Angst vor der Zurückweisung
hatte. Doch jetzt können sie mich nicht mehr ablehnen. Ich zwinge
sie zu Gehorsam und Hingabe. Sie dabei zu betrachten, ihre falsche
Liebe zu mir zu spüren, erfüllt mich mit Glück. Glück, das ich
brauche, um weiter so zu funktionieren, wie es von mir erwartet wird.
Und ich trainiere meine Fähigkeiten ausgiebig. Ich habe verstanden,
dass ich in der Lage bin, ganze Gruppen zu meinen Gunsten nur leicht
zu beeinflussen, sie einzeln vor Panik und Angst in die Flucht zu
schlagen oder auch gänzlich ihr Vertrauen zu gewinnen, so dass sie
nicht einmal mehr schreien, selbst wenn sie meine Fangzähne
erblicken. Ein Vorfall wie mit Alicia, ist mir nicht wieder passiert,
ich beherrsche mich.
Solange
ich Küken bin, lebe und wohne ich bei Benedict, natürlich. Auf dem
Weg zu seinem Bürokomplex, bringt er mich zum Clanshaus und auf dem
Rückweg, holt er mich immer wieder ab. Alle vier Nächte gehe ich
für etwa eine Stunde jagen. Die einzige Freizeit, obwohl auch sie
nur zwangsläufig gegeben ist. Kein Urlaub, keine Wochenenden. Wozu
auch? Als untoter Körper braucht man keine Erholung.
Ich
lege die aktuellen Börsennachrichten und einige Dokumente in meine
Aktentasche und als ich das Geräusch der zuschnappenden Verschlüsse
höre, halte ich kurz inne. Wie ein Echo hallt dieses Geräusch, dass
ich jetzt seit über einem Jahr regelmäßig um die gleiche Zeit jede
Nacht höre, in mir wider. Ich verharre in meiner Haltung, schlucke
kurz leise und habe das Gefühl, ein Gefangener zu sein. Nur ganz
flüchtig, als ob ich die kalten Fesseln an meinen Händen spüren
könnte. Und ganz weit entfernt höre ich etwas in mir schreien,
keine Worte, nur undefinierte Laute. Ich spüre eine Enge in der
Brust, die mich dazu bringt, an mein Herz zu fassen.
Ich kann keine Schmerzen in der Brust mehr empfinden, das ist
lächerlich!
Dann
ruft Benedict nach mir, ich springe förmlich auf, greife nach der
Aktentasche und gehe die Treppen hinunter. Und ich vergesse den
Schmerz von eben wieder, bis er mich in der nächsten Nacht, zur
selben Zeit wieder ereilt.
Und
als ich begreife, dass es wohl eine tiefer sitzende Ursache für
dieses Symptom gibt, versuche ich mir darüber im Klaren zu werden,
was es sein könnte.
Ich
fange an, die letzte halbe Stunde der Nacht, die ich nur für mich
habe, nicht wie gewöhnlich die Unterlagen und den Anzug für morgen
bereitzulegen, sondern setze mich im Schneidersitz auf mein Bett und
denke angestrengt nach.
Doch
außer, dass ich mir mehr Mühe geben muss, um Benedict nicht zu
enttäuschen, will mir keine Lösung einfallen, denn ich erkenne im
Grunde das wirkliche Problem nicht. Und ich tue es damit ab, dass
vielleicht jedes Küken am Anfang so eine Phase durchmacht. Und mit
der Zeit gewöhne ich mich an den frühabendlichen innerlichen
Aufschrei und das Stechen in der Brust. Solange ich meiner
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