Melville
Ich wäre auch so mitgegangen, aber ihr scheint es
auch fast etwas zu gefallen. Draußen reiße ich mich los, hole mein
Handy hervor und tue besonders beschäftigt. Ich nutze die Zeit, um
auf geschäftliche Anfragen zu antworten und Benedict eine kleine
Nachricht zu senden. Er soll sich um mich keine Sorgen machen müssen.
Sie geht derweil zu einem Wohnpartner und ich kann ihr Gelächter aus
dem Zimmer hören. Als sie nach fünf Minuten nicht zurückkehrt,
gehe ich allein in ihr Zimmer hinein und sehe ihn. Das schwarze
T-Shirt ist viel zu eng, seine Muskeln treten deutlich hervor. Dafür
ist die Hose wiederum viel zu weit und schwer hängt der feste Stoff
im Schritt durch. Grobe Stiefel an seinen Füßen und dunkle
Handschuhe, die er noch unschlüssig in der Hand hält, runden das
Gesamtbild ab. Es sieht einfach furchtbar aus, so falsch an ihm. Und
zu allem Überfluss, treten jetzt sein Vollbart und das, durch die
dunklen Farben, Rot seiner Haare gänzlich ins Bild. Meine Mimik
verrät mich wohl und er fragt
„So
schlimm?”. Ich atme leise ein und lüge
„Nein,
nein wirklich. Es geht schon. Du machst dich gut... nur...”.
„Nur
was?“, fragt er etwas ungehalten nach, als Vanessa wieder in den
Raum gestürmt kommt und einen kleinen erfreuten Aufschrei äußert.
„Wahnsinn,
das sieht ja super aus! Nur der Bart muss ab... ehrlich jetzt.”.
Mit leicht panischem Blick greift er an sein Kinn und fragt
„Der
Bart?”. Auch ich nicke und sage
„Ja,
Andrew, der stört irgendwie.”.
„Der
wächst doch morgen wieder nach... ich hol ‘ne Schere, Rasierer is
im Bad.”. Und schon verschwindet sie wieder aus der Tür. Er wirkt
richtiggehend verängstigt. Ich gehe einige Schritte auf ihn zu und
frage
„Was
ist denn? Der wächst wirklich wieder nach.”.
„Ich
weiß, aber... ich habe ihn schon seit Jahren... und ich pflege und
kämme ihn jede Nacht. Das ist morgen nicht der Gleiche.”. Ich muss
kurz etwas schmunzeln und antworte
„Für
die Camarilla, Andrew.”. Er scheint kurz zu überlegen und nickt
dann schließlich. Vanessa kehrt zurück, reicht ihm die Schere und
führt ihn in das Bad. Ich warte auf dem Flur und sie verschwindet
wieder bei ihrem Kollegen im anderen Zimmer. Kurz höre ich das
blubbernde Geräusch einer Wasserpfeife, bis laute Musik aus dem Raum
herausdröhnt und ich auch keine Stimmen mehr ausmachen kann.
Durch
die nur angelehnte Tür des Badezimmers sehe ich seinen Rücken und
erkenne auch, dass er sich nicht bewegt. Seine Arme stützen sich auf
das Waschbecken. Was treibt er so lange?
Ich
klopfe an die Tür.
„Andrew?”.
Ich trete zu ihm in das Bad. Er dreht sich leicht erschrocken um und
sagt etwas entschuldigend
„Ich
kann nicht...”. Ich habe keine Lust ewig in diesem Haus zu warten
und außerdem erheitert mich seine Notlage auch ehrlich gesagt etwas.
Ich trete dicht zu ihm und greife nach der Schere in seiner Hand.
„Dann
tue ich es.”. Ich hebe die Schere und taste nach den ersten Haaren.
Und tatsächlich fühlt sich sein Bart weich und geschmeidig an. Fast
schon zart, wenn ein Bart überhaupt so sein kann.
„Du
pflegst ihn? Womit denn?“, frage ich, selbst erstaunt von dem
Gefühl. Schnitt um Schnitt kürze ich dabei die Härchen herunter.
Seine Augen schließen sich bei jedem Geräusch, als würde er echte
Schmerzen empfinden.
„Mit
Rosenöl. Jede Nacht, nachdem ich aufgestanden bin, massiere ich zehn
Minuten Rosenöl hinein. Wie ein Ritual.”. Ich versuche ihn
abzulenken, damit es ihm leichter fällt.
„Rosenöl?
Ist das nicht sehr teuer?”.
„Ja,
schon, aber was habe ich seit meiner Verwandlung noch?”.
„Ich
verstehe.”. Ein ganzes Büschel roter Haare sammelt sich am Boden,
während er versucht mich nicht anzusehen und auch nichts gegen meine
Arbeit zu unternehmen.
Ich
lege die Schere beiseite und suche den Rasierer im Spiegelschrank und
zum Glück finde ich auch einen, passend dazu auch Rasierschaum.
Dinge, die ich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr verwendet habe.
Ich habe mich damals für eine Glattrasur entschieden und bereue
diese Entscheidung auch nicht.
„Schaffst
du es jetzt allein?“, frage ich ihn und halte ihm die Utensilien
hin. Er blickt auf sie, atmet kurz hörbar und sagt
„Nein.”.
Ich habe noch nie einen anderen Mann rasiert, aber ich schätze, dass
es ähnlich wie bei meinen Verhören ist, nur dass ich jetzt
versuchen sollte, seine Haut zu schonen.
„Na
gut, Andrew. Aber nur dieses eine Mal und weil die Zeit
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