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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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Hände.
    Er saß reglos und nahm es kaum wahr. Das Tier ließ von ihm ab, entfernte sich.
    Mit einem Mal war die ganze Umgebung mit ihren Hügeln, Steinen, Bäumen und Wiesen so in Licht getaucht, als schmölze alles unter der Sonne dahin und ginge in dem allumfassenden Glanz auf. Als er endlich die Hände vom Gesicht nahm, war er geblendet. Lange war er nicht fähig, die Augen in dem allgegenwärtigen Licht aufzuschlagen. Als er sich an die grelle Strahlung gewöhnt hatte, stand er auf, müde und lustlos. Schwerfällig holte er die Ziegen zusammen, trieb sie auf den Hügel. Es dauerte nicht lange, bis sich die Tiere zum rückwärtigen Hang bewegten. Er jagte sie zurück. Die Hand schützend vor den Augen, schaute er in die Weite. Es war ihm, als könnte er sogar die Zweige der riesigen Platane erkennen. Sein Herz pochte in lauten Schlägen. Denn dort im Norden, hinter dem Hügel, lag sein Tal, dort, hinter dem grauen Erdbuckel verborgen, lag Değirmenoluk mit seinem Distelfeld. jetzt trieb er die Ziegen auf die Bodenwelle zu. Zwei kleine Vögel flogen vor ihm auf. Auch am Himmel war ein Vogel zu sehen, ein einziger; sonst war die Natur weit und breit wie ausgestorben, eine große Stille lag über dem Land.
    Weit am Horizont stieg eine weiße Wolke hoch. Plötzlich fiel ihm ein winziges Feld unten am Fuße des grauen Buckels ins Auge. In der Mitte dieses Feldes bewegte sich ein schwarzer Punkt auf und ab. Weiter trieb er die Ziegen, lustlos wie zuvor, müde und wie unter einen fremden Willen gebeugt, immer in der Richtung auf jenes Feld. Als er dort angekommen war, hatte er schnell erkannt, was es mit dem sich auf und nieder bewegenden Punkt auf sich hatte: Das war der alte Hösük, den man »Runkelrübe« nannte, der hier Korn schnitt.
    Jetzt hob er den Kopf, ohne Memed und seine Ziegen zu bemerken. Mit mechanischen Bewegungen schwang er weiter seine Sichel.
    Memed ließ seine Ziegen laufen. Bald erreichten sie den Rand des Kornfelds, Hösük sah auch jetzt noch nichts. Aber als die Tiere, alle zugleich aus verschiedenen Richtungen, geräuschvoll in sein Feld einfielen, fuhr Hösük die Runkelrübe wutentbrannt hoch, feuerte seine Sichel auf die fremden Eindringlinge und rannte ihnen selbst mit schrecklichen Flüchen entgegen. Memed war stehengeblieben, wo er war, den Blick auf Hösük die Runkelrübe gerichtet.
    Als es dem Alten endlich unter Schnaufen, Wettern und Ächzen gelungen war, die Ziegen von seinem Feld zu vertreiben, blieb er stehen und bemerkte erst jetzt den zu ihm herstarrenden fremden Knaben. Das war also der Hirtenjunge! Na, dem würde er's schon besorgen. Kochend vor Wut, bückte er sich nach seiner Sichel, um auf den frechen Flurschädling loszugehen.
    »He, du da, Hundesohn! Die Pferde sollen deine Mutter zertrampeln!« schäumte er. »Deine Geißen stampfen im Korn herum, und du stehst da und glotzt! Na, ich werd's dir schon eintränken, Hurensohn, elender!«
    Der Junge rührte sich nicht vom Fleck. Der Alte, der seiner Rache sicher sein wollte - nachlaufen konnte er dem Kerl nicht, er würde ihn doch nicht einholen -, begann, näher kommend, in grimmigem Eifer Steine aufzuklauben. Das Kind stand immer noch da, bis Hösük neben ihm war, mit der umgedrehten Sichel auf seinen Kopf ausholend ...
    Mitten im Schwung hielt er inne, ließ den Arm des Knaben, den er fest gepackt hatte, los: »Ja - das ist ja der Memed! Junge! Alle halten dich längst für tot!« Er schnaufte, rang nach Atem, ließ sich mit tiefrotem, schweißüberströmtem Gesicht auf die Erde fallen. Als er sah, daß sich die Ziegen wieder über sein Feld hergemacht hatten, sagte er, jetzt ruhiger: »Schaff mir die Ziegen da fort, dann komm her zu mir!«
    Jetzt erst erwachte Memed aus seiner Erstarrung. Er rannte auf das Feld, trieb die Tiere weg, dann kam er zurück, setzte sich neben Hösük nieder.
    »Memed, Memed! Die ganze Gegend haben wir abgesucht nach dir! Dann hieß es auf einmal, du seist ins Wasser gefallen. Deiner Mutter hat es fast das Herz gebrochen ... Sag mal, hast du denn bei alledem überhaupt nicht an sie gedacht?«
    Memed saß nur mit eingefallenen Schultern da, das Kinn auf seinem Hirtenstab, ohne ein Wort zu erwidern.
    »Wem gehören diese Ziegen?« wollte Hösük wissen. Doch Memed rührte sich nicht. Er mußte ein zweites Mal fragen.
    »Memed, ich rede mit dir. Wem gehören diese Ziegen?«
    Zögernd kam die Antwort: »Dem Süleyman. Vom Dorf Kesme.«
    »Ist ein braver Mensch, der Süleyman«, sagte Hösük. Und

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