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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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sich die Müdigkeit aus den Gliedern, und alle zugleich hockten sie sich nieder und pinkelten.
    Sie reckten sich wieder, um die Müdigkeit zu vertreiben, während sie über Memeds Ackerland stapften.
    »Da, seht die Spuren!« rief Osman plötzlich aus. »Hier sind die Ochsen vor dem Pflug gegangen ... Jetzt müssen wir den Spuren folgen!«
    An einer Stelle blieben sie lange stehen und sprachen miteinander. Da hatten zwei Ochsen am Boden gelegen, man konnte es an den großen, muldenartigen Körpereindrücken sehen. Man sah auch, daß sie mit Joch und angeschirrtem Pflug gelegen hatten.
    Die junge Sonne begann ihre erste Wärme über das Land zu verbreiten. Aus der Distelwüste heraustretend, kamen sie an einen Wasserlauf Mit einem Mal stieß Ali einen Schrei aus. Im Nu waren die beiden anderen neben ihm. Da standen die Ochsen, ins Joch geschirrt, und den Pflug hinter sich! Eines der Tiere war rot, das andere violett. Beiden standen die Knochen weit heraus.
    Osman war ganz blaß geworden. »Mit dem Jungen ist etwas los. Wenn er nur geflüchtet wäre, hätte er die Ochsen nicht einfach im Geschirr stehen lassen. Da ist etwas anderes passiert!«
    »Ein Dreck ist passiert!« sagte Ali. »Der schlaue Kerl hat sie so stehen lassen und ist auf und davon in sein Dorf!«
    Osman wurde wütend: »Was soll das verdammte Gefasel? Das Dorf gibt es doch gar nicht.«
    »Nun seid mal friedlich, Burschen«, griff Dursun lächelnd ein. »Fangt mir bloß keinen Streit an.«
    Sie trieben die Ochsen vor sich her. Als sie im Dorf anlangten, war es schon heller Tag. Vom Berg gegenüber hob sich langsam der Nebel. Die Frauen, die Kinder und das Jungvolk des Dorfes hockten fast vollzählig um Döne herum. Als sie die drei Tagelöhner mit dem Ochsengespann kommen sahen, standen alle auf, starrten mit aufgerissenen Augen schweigend auf die Gruppe wie auf eine furchtbare Offenbarung. Döne lief aufschreiend auf die Ochsen zu: »Dursun! Wo ist mein Kind?«
    Dursun zuckte die Achseln: »Wir haben sie so im Tal gefunden, die Ochsen.«
    Die Frau schlug sich mit den Fäusten auf die Brust: »Oh, mein armer Memed, mein armes Waisenkind!«
    »Nun reg dich doch nicht so auf, Schwester«, versuchte Dursun die Verzweifelte zu beruhigen. »Es wird ihm schon nichts geschehen sein. Ich gehe noch mal los, ihn suchen. Ich finde ihn schon.«
    Döne hörte ihn nicht. Von Schluchzen über und über geschüttelt, warf sie sich in den weißen Staub, der ihr Haar überzog, ihr in die Augen drang und, vermischt mit ihren Tränen, ihr Gesicht unkenntlich machte. Die Menge stand schweigend. Die Blicke wanderten von der am Boden wimmernden Döne zu den Ochsen. Zwei Frauen lösten sich aus der Gruppe, gingen auf die halb ohnmächtig Daliegende zu, ergriffen ihre Arme und zogen sie hoch. Der Kopf hing ihr wie leblos auf die linke Schulter herab. Sie faßten sie unter, um sie in ihr Haus zu bringen.
    Sobald Döne fortgebracht war, kam Bewegung in die Umstehenden. Die alte Cennet, eine hagere, verrunzelte Frau, die man Cennet das Pferdegesicht nannte, sprach zuerst. »Die arme Döne!« sagte sie. »Was ist denn mit ihrem Sohn?«
    »Der ist tot. Wenn er noch am Leben wäre, müßte er jetzt dasein«, antwortete eine andere. Das war die gedrungene Elif, die sich wegen ihrer Unglücksprophezeiungen als Unke im Dorf einen Namen gemacht hatte. Die schicksalsschweren Worte wurden von Mund zu Mund weitergegeben:
    »Memed ist tot ... «
    Wieder war Elif zu hören: »Sicher haben ihn die Feinde seines Vaters umgebracht.«
    »Unsinn!« entgegnete die alte Cennet. »Sein Vater hatte keine Feinde. Der Ibrahim, der hat keiner Fliege etwas getan.«
    Durch die wogende Menge der Frauen mit ihren weißen Kopftüchern, buntbedruckten Kattungewändern, ihrem Fez und auf den Stirnen klimpernden Kupfermünzen pflanzte es sich wie ein Kanon fort: »lbrahim hat keinem etwas getan! Armer Memed! Blind werden soll der Heide, der ihm was zugefügt hat.«
    Dann verbreiteten sich einige Worte, bei denen man nicht wußte, wer zuerst auf den schrecklichen Einfall gekommen war: »Döne soll schauen, über welchen Plätzen die Adler kreisen. Da soll sie hingehen, wenn sie ihn wiederfinden will.
    Ja, wo etwas Totes liegt, da kreisen die Adler ... «
    »Und wenn er ins Wasser gestürzt ist?«
    Plötzlich wandte sich die Menge an die Frau, die das eben geäußert hatte. Es war im Nu still. Die Menge verharrte im Schweigen, um sich alsbald wieder zu beleben.
    »Vielleicht ist er ins Wasser gefallen.
    ... ins

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