Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

natürlich, die Augen! Er reißt das Gewehr hoch und feuert auf die Augäpfel, die ihnen weiter vorne entgegenstarren.
    »Nein!«, kreischt Pressia. »Du machst sie nur auf uns aufmerksam.«
    Er blickt sich um. Sie hat recht. Ein paar Dusts blicken von ihrem halb verschlungenen Kameraden auf und gucken in ihre Richtung.
    Während sie rennt, zieht Pressia ihr Messer und treibt es einem Dust in die Pupille. Blut regnet herab und versickert im Dreck, der Boden rumort und erstarrt – ein unauffälligerer Tod, der keine anderen Dusts anlockt.
    Bradwell streckt die Hand aus. »Gib mir das Messer, Pressia. Ich mach das.«
    »Nein, ich mach das«, sagt El Capitán.
    Doch Pressia ist ihnen bereits mehrere Schritte voraus und durchbohrt das nächste Auge. Mit schnellen Messerstößen bahnt sie ihnen einen Weg.
    El Capitán fällt ein, dass sein Bruder ebenfalls bewaffnet ist. »Helmud! Gib mir dein Schnitzmesser!«
    Aber Helmud schüttelt den Kopf: Nein, nein, nein.
    »Gib’s her!«
    Nein, nein, nein.
    El Capitán greift sich über die Schulter und verpasst ihm einen kräftigen Klaps auf den Kopf, erst von rechts, dann von links. »Her damit!«
    Nein.
    »Vielleicht will er selber?«, wirft Bradwell ein.
    »Bist du verrückt geworden?«
    »Verrückt!«, sagt Helmud.
    Pressia dreht sich um, das blutige Messer in der Hand. »Cap!« Soll er aufhören, Helmud zu schlagen? Oder meint sie auch, dass Helmud sich als Messerstecher versuchen sollte?
    Mittlerweile ist klar, dass sie sowieso auf verlorenem Posten stehen. Zu ihrer Linken, zu ihrer Rechten, überall hieven sich Dusts aus dem Boden. Und die, die den Dust mit dem zermanschten Auge verspeist haben, schneiden ihnen den Rückweg ab. Es sind zu viele. Also warum sollte Helmud nicht seinen Spaß haben? Er hat es doch eh nicht drauf. Er hat keine Muskeln, er hat kein Timing. El Capitán freut sich sogar darauf, ihm beim Versagen zuzusehen, erst recht nach der Sache mit dem geschnitzten Schwan. Höchste Zeit, dass er an seine Schwäche und Abhängigkeit erinnert wird, an die Rolle, die er hier zu spielen hat. »Bereit, Helmud?«
    »Bereit Helmud!«
    Ganz in der Nähe entdeckt El Capitán einen Dust. Er kauert sich auf den Boden und lehnt sich nach rechts, während Helmud mit dem Schnitzmesser ausholt – und die Klinge gut fünfzehn Zentimeter neben dem Auge in die Erde bohrt.
    »Das war nicht mal nah dran. Her mit dem verdammten Messer!«
    Helmud schüttelt wild entschlossen mit dem Kopf.
    Also gewährt El Capitán ihm noch einen Versuch. Und diesmal landet Helmud einen Treffer. Blut spritzt hoch, das Auge versinkt. »Da ist noch eins!«, ruft El Capitán. Erneut trifft Helmud ins Schwarze. El Capitán schiebt sich vorwärts, Helmud schlägt wieder und wieder zu. Eigentlich macht es El Capitán verdammt wütend, dass Helmud den Bogen so schnell raushat, aber zugleich ist er stolz auf seinen Bruder. Er hält den Rücken stabil, Helmud lässt die Klinge zischen. Sie sind ein gutes Team, sie verfallen in einen gemeinsamen Rhythmus und kommen immer schneller voran. Vielleicht kriegt Pressia ja mit, was für ein guter Bruder er ist. Bradwell läuft dicht neben ihr, und nun schirmen El Capitán und Helmud ihre andere Seite ab.
    Hastings ist ein Stück zurückgefallen. Er hinterlässt einen Pfad aus vibrierenden Punkten – erlegte Dusts, die unter krampfhaften Zuckungen verenden.
    Doch Pressia blickt sich um, als hätte sie endgültig eingesehen, dass es zu viele sind. »Es ist vorbei. Die Übermacht ist zu groß.«
    Sie bleiben stehen und drehen sich langsam im Kreis. Die Dusts nähern sich.
    Keine fünfzig Meter zu ihrer Rechten erhebt sich der Maschendrahtzaun des Vergnügungsparks. Aber wäre der Park wirklich eine sichere Zuflucht? Oben auf der Achterbahn hocken Späher. Es ist nicht auszuschließen, dass sie mit den Dusts zusammenarbeiten. Vielleicht benutzen sie die Dusts, um ihre Beute in die Enge zu treiben? Sie haben die Teetassenfalle installiert. Denkbar, dass das alles zu ihrem Plan gehört.
    »Cap«, sagt Pressia. »Es ist aus.«
    Er spürt einen Stich ins Herz. Ihr Blick wirkt so konzentriert – als würde sie versuchen, sich sein Gesicht zu merken. So hat ihn noch niemand angesehen.
    »Zielt auf die Augen und schießt!«, ruft Hastings.
    »Damit locken wir nur noch mehr an.« Dann zuckt Pressia mit den Schultern. »Aber es ist wohl egal, ob wir von hundert oder von tausend Dusts getötet werden.«
    »Ja«, sagt Bradwell. »Irgendwann sind das nur noch