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Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Titel: Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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»Partridge?« Ein kratziges Zwitschern.
    »Dad.«
    Die Finger einer geschwärzten, verdorrten Hand zucken. Er will, dass Partridge näherkommt. »Ich brauche noch etwas von dir vor …«
    »Vor?«
    »Vor dem Ende.« Wessen Ende? Dem seines Vaters? Partridges Ende? Der Unterschied zwischen Mörder und Ermordetem, zwischen Böse und Gut, wirkt auf einmal zart und durchscheinend wie ein feuchter Schleier.
    »Was brauchst du?«, fragt Partridge.
    Sein Vater kann sich kaum rühren. Der Schatten körperlicher Schmerzen zieht über sein Gesicht – oder ist es ein Gefühl? Er kneift die Augen zusammen und schiebt den Kiefer vor. Und flüstert: »Du musst mir verzeihen.«
    Das will er von ihm? Dass er ihm seine entsetzlichen Verbrechen verzeiht – den Tod von Millionen? Oder wie?
    »Sag mir«, haucht sein Vater. »Sag mir, dass du mich liebst.«
    Partridge schreckt vom Bettgeländer zurück und taumelt durchs Zimmer, bis die glänzend weißen Fliesen um ihn zu kreisen scheinen. Deshalb hat sein Vater seine Erinnerungen löschen lassen – damit Partridge nur noch weiß, was er vor seiner Flucht wusste. Damit er ihm ein paar kleinere Verfehlungen vergibt, ein paar Vorwürfe zurücknimmt, wie sie jeder Sohn jedem Vater macht. Er strebt nach einer falschen Absolution – er will hören, wie die Lippen seines Sohnes Worte der Vergebung formen. Eine Vergebung, die seine unendlichen Verbrechen ausradiert und übertüncht.
    Und sobald er ihm verziehen hat, kann sein Vater seinen Körper übernehmen. Partridges Schulter sinkt gegen die Wand. Sein Vater hat sich entschieden, seine eigene Wahrheit zu erschaffen, eine Wahrheit, die besagt, dass sein Sohn ihn liebt und ihm vergeben hat. Ein Rinnsal Schweiß läuft über Partridges Rücken. Sein Herz schlägt schnell und laut. Er greift in die Tasche. Da ist die Kapsel. An seinen Fingerspitzen.
    »Partridge.« Sein Vater ruft nach ihm. »Komm her.«
    Partridge wischt sich den Schweiß vom Gesicht. Seine Finger stupsen die Kapsel an, stupsen sie noch einmal an. Kurz entschlossen klemmt er sie zwischen Zeige- und Mittelfinger und schaufelt sie in die Handfläche, in die Faust, ehe er zum Bett zurückkehrt. Er erträgt den Anblick seines Vaters nicht, seiner verwüsteten Haut und verdorrten Hände.
    »Das ist alles?«, fragt Partridge atemlos. »Ich muss dir nur verzeihen? Ich muss dir nur sagen, dass ich dich liebe?«
    Sein Vater nickt, Tränen in den Augen.
    Partridge führt die geschlossene Faust zum Mund, täuscht ein Hüsteln vor – und steckt sich die Kapsel unter die Zunge. Die Kameras blicken auf ihn herab. Er schiebt die glitschige Pille in die Backe.
    Vierzig Sekunden. So lange braucht die Hülle, um sich aufzulösen. Partridge wird keine vierzig Sekunden brauchen.
    Er klammert sich ans Bettgeländer und beugt sich über seinen Vater. Für einen Moment malt er sich aus, wie sein Vater seinen Körper, sein Leben übernimmt. Wie er eine Zukunft mit Iralene erlebt. Wie er sie mit Partridges Händen berührt. Und Partridges Gehirn? Würden sie es wegschmeißen? Oder anhalten? Er denkt an Lyda – wie es wäre, sie nie wiederzusehen.
    Seine tote Mutter.
    Sein toter Vater.
    Eine ganze tote, sterbende, tote, tote Welt.
    Er beugt sich weiter vor. Blut pulsiert in seinen Schläfen, in seiner Kehle. »Du wirst nie begreifen, was Liebe ist«, flüstert er seinem Vater ins Ohr. »Aber ich verzeihe dir – mit einem Kuss.«
    Als Sedge und Partridge klein waren, hat ihr Vater sie nie geküsst, er hat sie nicht mal umarmt. Er hat ihnen beigebracht, ihn mit einem männlichen Handschlag zu begrüßen. Doch sein Vater hat nicht zu bestimmen, wie diese Absolution abläuft, und so lehnt Partridge sich über das Bett und küsst ihn – und bläst die Kapsel vorbei an seinen Lippen tief in die Kehle seines Vaters. »Verzeihe ich dir? Verzeihst du mir? Was tut das noch zur Sache?«
    Der Kehlkopf seines Vaters bebt – er hat die Kapsel geschluckt. Seine aufgequollenen, rot umrandeten Augen weiten sich. Er begreift, was dieser Moment bedeutet. Er weiß, was Partridge getan hat. Eine klauenhafte Hand hebt sich und krallt sich in Partridges Hemd. »Du bist mein Sohn «, zischt er. »Du gehörst mir .«

LYDA
Zittern
    Plötzlich schießt ein Umschlag unter der Tür hindurch ins Zimmer. Er gleitet, hebt kurz ab, bleibt liegen. Lyda starrt ihn an – ein unscheinbares weißes Ding, ein ganz normaler, in der Mitte leicht ausgebeulter Umschlag.
    Lyda nimmt ihn in die Hand. Vielleicht ist es eine

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