Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
nur, dass alle die Wahrheit erfahren.«
»Tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe. Ich weiß, dass deine Eltern alles riskiert haben, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ich will auch wissen, was wirklich geschehen ist. Bisher weiß ich nur das, was mir als Wahrheit verkauft wurde. Lauter Lügen.« Aber für Pressia ist es nicht wie für Bradwell. Er will die Wahrheit über diese Welt wissen. Sie interessiert sich nur für die Wahrheit über sich selbst in dieser Welt. Und das kommt ihr so egoistisch vor, so kleinlich und unbedeutend. Emi Brigid Imanaka. Nur drei Wörter. Pressia Belze ist eine Erfindung.
»Gut«, entgegnet Bradwell. Doch als sie ihn ansieht und seinen Blick registriert, ist sie sich ziemlich sicher, dass er ihr nicht so richtig glaubt. »Vielleicht kann Fignan wenigstens dir weiterhelfen. Versuch’s doch mal. Frag ihn nach deiner Mutter und deinem Vater.«
Zögerlich legt sie die Hand auf die Blackbox. »Soll ich wirklich?«
»Klar. Aber nur, wenn du auch wirklich willst.«
»Aber wäre das nicht irgendwie … geschummelt?« Sie zieht die Hand zurück. »Ich will mich aus eigener Kraft an meine Eltern erinnern. Aber ich glaube, ich schaff das nicht. Warum erinnere ich mich nicht an die Bombenangriffe? Warum erinnere ich mich so gut wie gar nicht an das Davor?«
»Willst du dich überhaupt an die Bomben erinnern?«
»Ja. Ich muss. Wenn ich zum Davor will, muss ich mich zuerst durch die Explosionen graben. Es ist wie eine verschlossene Tür vor einem Dachboden – wenn ich sie öffnen kann, finde ich alles, was ich über die Bombenangriffe verdrängt habe, und weiter hinten vielleicht auch Erinnerungen an meine Eltern.«
»Darüber habe ich neulich erst nachgedacht. Du hast mal fließend Japanisch gesprochen. Du hast in Japan gelebt, dein Vater und deine Tante haben dich dort großgezogen. Irgendwo tief in dir ist die Sprache noch.«
»Ja, wahrscheinlich. Aber sie ist weggesperrt, wie alles andere auch.«
»Das könnte einer der Gründe sein – du hattest keine Worte für all das, was um dich herum vorgegangen ist. Du konntest es nicht erfassen.«
»Aber ich weiß den Text zu dem Lied über das Mädchen auf der Veranda, das meine Mutter mir immer vorgesungen hat. Über das Mädchen mit dem flatternden Kleid.«
»Das ist eine ungefährliche Erinnerung.«
»Was willst du damit sagen? Dass ich mich nicht traue, mich an die schlimmen Sachen zu erinnern?«
»Nein. Ich …« Es hämmert an der Tür. Fignans Lichter leuchten auf, sein Motor erwacht knurrend zum Leben.
»Bradwell!«, ruft eine Männerstimme.
Bradwell geht zur Tür. »Wer ist da?«
»Es gibt Neuigkeiten von El Capitán. Dringende Neuigkeiten.«
Bradwell schiebt den Riegel zurück und tritt auf den Gang.
Den aufgeregten Stimmen ist anzuhören, dass es sich tatsächlich um dringende Neuigkeiten handelt. Irgendetwas stimmt nicht. Pressia dreht sich der Magen um. Sie betrachtet die sieben Lichter auf Fignans Rücken – wie eine Reihe Augen. Sieben schwimmende Schwäne , denkt sie plötzlich und hat keine Ahnung, woher diese Worte kommen. Fignan sieht sie an wie ein Hund, der nur ein einziges Kunststück auf Lager hat.
Pressia geht in die Knie, beugt sich zu ihm und flüstert: »Würdest du mir von meinen Eltern erzählen, wenn ich dich darum bitte?« Sie fragt sich, ob sie sich vielleicht davor fürchtet, mehr über ihre Eltern zu erfahren. Würde sie sie dann nur noch mehr vermissen? Oder lauern irgendwo Informationen, von denen sie gar nichts wissen will? Schließlich ist sie ein Bastard, ein Geheimnis.
Fignan richtet sich auf. Einer seiner Arme schnellt hervor, schnappt sich ein paar Strähnen ihres Haars und reißt sie mit einem Ruck aus.
»Au!« Sie steht auf und reibt sich den Kopf. »Was soll das?« Das Haar verschwindet wie ein Faden, der rasch von einem Motor in Fignans Innerem aufgewickelt wird. Pressia ist so verblüfft, dass sie unwillkürlich zurückweicht. Sie stößt gegen den Tisch und kommt dabei an die Glocke, die umkippt, zur Seite rollt und klirrend auf dem Boden landet.
Pressia hebt sie auf und will sie schon zurückstellen, als ihr Blick auf den Zeitungsausschnitt fällt. Nun ist die ganze Schlagzeile zu erkennen: INTERNATIONALER KADETT – TOD DURCH ERTRINKEN WAR LAUT GERICHT UNFALL. Und unter dem Foto ist der Name des jungen Mannes zu sehen: KADETT LEV NOVIKOV. Pressia hebt das Papier auf. Es geht um einen Trainingseinsatz im Rahmen eines internationalen Projekts. Die Besten und Klügsten
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