Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
dass die Techniker aufpassen müssen – der Stumpf darf nicht nass werden.
Mit einem Motor wird die weiße Platte langsam ins Wasser hinabgelassen. Die Techniker stehen mit Stoppuhren und kleinen Handheld-Computern bereit und führen Befehle aus. Partridge spürt das Wasser am Kopf. Es ist kühl, aber nicht kalt. Sein Haar saugt sich voll, seine Ohren füllen sich, die Nässe kriecht seine Wangen hinauf. Schnell drückt er die Luft aus der Lunge, atmet tief ein und presst die Lippen aufeinander. Mit weit aufgerissenen Augen versucht er, sich loszureißen. Klares, helles Wasser. Neonlampen beleuchten den Raum. Er sieht die verzerrten Gesichter der Techniker.
Partridge lässt etwas Luft aus der Nase entweichen. Nur ein bisschen. Wie lange werden sie ihn unter Wasser halten? Sein Vater will nicht, dass er stirbt, aber vielleicht soll er den Tod kennenlernen. Er lässt noch etwas Luft entweichen. Seine Lunge verengt sich.
Als er es kaum noch aushält, geht ein leichter Ruck durch die weiße Platte. Sein Kinn taucht auf, sein Mund, es zieht die Luft zurück in seine Lunge. Ist die Taufe abgeschlossen? Ist er gerettet? Da spürt er den Motor wieder – es geht zurück ins Wasser. »Nein, nein, nein!«, fleht er die Techniker an. Vielleicht wurden ihre Ohren versiegelt, um sie von seinen Bitten abzuschirmen.
Er kann nicht mal den Kopf schütteln oder den Rücken wölben, um nach Luft zu schnappen.
Wieder und wieder tauchen sie ihn unter – schlägt die Taufe nicht an? Irgendwann bettelt er nicht mehr. Er bemüht sich, den richtigen Zeitpunkt zum Einatmen abzupassen, eine Strategie zu entwickeln. Dabei verliert er die Zeit aus den Augen. Er will nur noch hoch, an die Luft.
Er versucht, sich an Lydas Anblick festzuhalten, an ihrem Gesicht, ihrer exakten Augenfarbe. Als er das nächste Mal an die Oberfläche kommt, verkrampft sich sein Kehlkopf, seine Lunge macht dicht. Keine Luft. Kein Laut. Kein Einatmen. Partridge gerät in Panik. Er sucht den Blick der Techniker.
Die Techniker machen sich Notizen.
Wieder summt der Motor. Es geht nach unten, und diesmal hat er nicht eingeatmet.
Einem Techniker scheint aufzufallen, dass etwas schiefgegangen ist. Er streckt die Hand nach der Sprechanlage aus.
Doch jetzt ist Partridge unter Wasser. Er hört nicht, was der Techniker sagt. Er kann nicht atmen, er könnte nicht mal Wasser in die Lunge saugen. Bald verschwimmt das glänzende, glitzernde Licht der Neonlampen zu einem dunklen Schmutzfleck – zu Asche. Er denkt an Asche und Schnee und Lyda – an ihr Gesicht, das Stück für Stück zerfällt und in den Himmel hinaufschwebt.
PRESSIA
Moos
Pressia und Bradwell leben in einer kleinen Hütte. Der Suchtrupp hat sie hierhergebracht, in der Nacht, in der sie beinahe umgekommen wären. Es ist eine bescheidene Hütte mit Mauern, die sowohl innen als auch außen bemoost sind. Sie wurde Pressia und Bradwell zugeteilt, weil sie sich mit ihrem Kanonenofen gut heizen lässt. Pressia hat sich schnell von der Unterkühlung erholt, doch in Bradwells Lunge ist Wasser eingetreten, und mit Atemnot und Hustenanfällen kennen sich die Überlebenden aus. Sie wissen, wann es ernst wird. Ein abgehacktes Keuchen nach jedem Ausatmen deutet auf eine Lungenentzündung hin.
Seit drei Wochen widmet Pressia sich ihren beiden Aufgaben: Sie studiert Fignan und die vielen Aufzeichnungen, die Walrond hinterlassen hat, und sie kümmert sich um Bradwell. Aber meistens schläft er.
Zuerst hat sie sich Notizen auf kostbarem Papier gemacht. Doch schon bald ist es ihr ausgegangen, und so hat sie auf den schmalen Tisch selbst geschrieben. Als der Tisch voll war, hat sie auf einen kleinen Hackklotz gekritzelt, dann auf Steine aus dem Obstgarten. Sie bemüht sich, möglichst klein zu schreiben. In flackernden Lichtkegeln projiziert Fignan Videoclips, Bilder eingescannter Dokumente – Geburtsurkunden, Heiratsgenehmigungen, Todesanzeigen, Abschlusszeugnisse, Protokolle – und Willux’ handschriftliche Notizen über Bücher, die er damals gelesen hat, hingeschmierte Seitenzahlen ohne Titel und Autor, verschachtelte Gedankengänge. Pressia hält alles fest.
Hin und wieder kommt Bradwell so weit zu sich, dass er einen Schluck Wasser oder Schweinebrühe trinken kann. El Capitán hat die Soldaten beauftragt, ihnen Essen zu bringen. Er schickt Krankenschwestern vorbei, und Fignan kramt medizinisches Wissen hervor, Informationen über Lungenentzündungen, über Gefahren und Behandlungsmethoden und
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