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Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Titel: Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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»Lumbalpunktion«, hat eine Stimme gesagt, ehe eine Nadel in seine Wirbelsäule eingeführt wurde.
    Sie setzen ihn unter Medikamente, damit er schläft, sie setzen ihn unter Medikamente, damit er wach bleibt und redet – in einem weiß gefliesten Raum mit einem Aufnahmegerät auf dem Tisch. Die Worte rattern aus seinen Gedanken herab, aus seiner Brust herauf. Kaum spuken sie durch seinen Kopf, liegen sie ihm schon auf der Zunge.
    Manchmal dringt die Stimme seines Vaters aus der Sprechanlage. Partridge hat ihn noch nicht zu Gesicht bekommen, obwohl er immer wieder nach ihm fragt: Wo ist mein Vater? Wann kann ich meinen Vater sehen? Sagen Sie meinem Vater, dass ich ihn sehen will.
    Er denkt an Lyda. Manchmal ruft er nach ihr. Erst wenn ihr Name durch den Raum hallt, begreift er, dass er seine eigene Stimme hört. Einmal hat er sich in einen weißen Kittel gekrallt und gesagt: »Lyda? Wo ist Lyda?« Der Techniker hat sich losgerissen, Partridges Hand ist gegen ein Tablett mit scharfen Stahlinstrumenten geknallt. Ein lautes Klappern. »Verdammt noch mal!«, hat jemand gebrüllt. »Desinfiziert das Zeug!«
    Ab und zu sagt ihm eine Frau im Laborkittel, welcher Tag heute ist; nicht welcher Kalendertag, sondern wie viele Tage seit seiner Ankunft vergangen sind.
    Das ist dein zwölfter Tag. Das ist dein fünfzehnter Tag. Das ist dein siebzehnter Tag.
    Und wie lange geht das noch so? Darauf antwortet sie nie.
    Auch an seinem kleinen Finger kann er den Lauf der Zeit ablesen. Lyda hatte recht – Arvin Weed war der Lösung schon mit der dreieinhalbbeinigen Maus auf der Spur. Mein Gott. Wenn er bereits so weit ist, nähert er sich dann schon dem Heilmittel für Willux? Durch wiederholte Injektionen wird das feingliedrige Zusammenspiel von Knochen, Muskeln, Bändern und Hautzellen des Fingers wiederhergestellt. Der Stumpf steckt in einer Fiberglaskappe, in die das Gewebe hineinwachsen soll. Labortechniker, Chirurgen und Krankenschwestern studieren den Fortschritt unterm Mikroskop. Manchmal erhitzen sie stecknadelkopfgroße Punkte, wie beim Löten.
    Die Regeneration geht voran. Wir sind zufrieden. Die Hautfärbung lässt kaum zu wünschen übrig.
    Seesterne können sich auch regenerieren. Gibt es noch irgendwo Seesterne?
    Das Problem ist, dass Partridge den Finger gar nicht zurückhaben will. Er hat ihn geopfert, und nun wird das Opfer ausgelöscht. Die Vergangenheit, die Außenwelt, die Erlebnisse, die er und die anderen hatten, der Tod seiner Mutter und seines Bruders – all das scheint mit jeder neuen, winzig kleinen Zelle zu schwinden, zu verblassen.
    Zweimal taucht Arvin Weed auf. Seine Augen schweben über Partridges Kopf, das restliche Gesicht wird von einer Maske verhüllt. Partridge will mit ihm reden, doch in seinem Hals steckt ein Schlauch, und Gurte fesseln ihn an den Untersuchungstisch.
    Arvin spricht ihn nie an, aber einmal zwinkert er ihm zu – ein kurzes Zwinkern, vielleicht nur ein Zucken? Nein, Partridge glaubt, dass es mehr war. Arvin ist bei ihm. Er wird sicherstellen, dass man sich um ihn kümmert. Oder? Partridge will ihm von Hastings erzählen, von den Vorfällen in der Außenwelt. Er will einen Namen sagen: Lyda .
    Als er aufwacht, kann er sich nicht erinnern, eingeschlafen zu sein. Sein Kopf ist schwer, seine Augen geschwollen, doch der Schlauch im Mund ist weg. Man rollt ihn an einen anderen Ort, die Räder der Liege klackern über Fliesen. Er passiert eine Reihe Fenster. Dahinter liegen Babys in Brutkästen, eines neben dem anderen. Winzige Babys, kaum größer als Welpen, aber zweifellos menschlich. Sie passen in die Handfläche einer Krankenschwester. Gibt es im Kapitol so viele Frühgeburten? Zur selben Zeit? Doch es sind keine reinen Babys. Sie haben Makel – Narben, Brandwunden, eingewachsener Schutt. Unglückselige Babys? Ist das ein Traum? Was ist hier noch real? Die Brutkästen nehmen kein Ende.
    Ein neuer Raum. Und die Stimme seines Vaters, die sich über die Sprechanlage meldet: »Er ist ein Kind. Er muss bestraft werden. Die Strafe wird ihn reinigen. Die Reinigung wird durch das Wasser erfolgen. Eine Taufe.«
    Die Frau sagt ihm, dies sei sein einundzwanzigster Tag.
    Sie schnallen ihn an eine schwere, weiße Platte und zurren ihn fest. Die Platte ist angewinkelt, sodass sein Kopf tiefer liegt als der Körper, seine Schultern sind fixiert. Er kann sich nicht bewegen. Sein kleiner Finger, der Millimeter für Millimeter gewachsen ist und vor frischen Nerven kribbelt, ist schon so weit,

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