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Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)

Titel: Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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Arzneimittel, die ihnen nicht zur Verfügung stehen. Pressia macht ihm keinen Vorwurf. Er will nur helfen.
    El Capitán hat Pressia angefleht, nicht bei Bradwell zu bleiben – seine Krankheit könnte ansteckend sein. Sie hat ihm gesagt, dass sie ihn nicht allein lassen will. »Wir sind gute Freunde.«
    Freunde? Sind Bradwell und sie immer noch bloß Freunde? Pressia erinnert sich an seinen nassen Körper, an seine freiliegende Haut. Manchmal denkt sie daran, dass er sie ausgezogen hat, dass er sie beinahe nackt gesehen hat. Natürlich ist es lächerlich, dass ihr das peinlich ist, schließlich waren sie so gut wie tot. Und wenn er sie vollkommen nackt gesehen hätte – er hat ihr das Leben gerettet. Doch wenn sie sich daran erinnert, wird sie auf einmal verlegen und nervös, und das Blut schießt ihr ins Gesicht, als wäre sie wieder nackt, genau jetzt. In Gedanken kehrt sie zu diesem Moment zurück, seine Haut auf ihrer Haut, beide zitternd vor Kälte, und spürt wieder, wie sie fällt, wie sie kopfüber in beängstigende, ungewisse Dunkelheit stürzt, in einen Abgrund – und was erwartet sie dort unten? Die Liebe?
    Aber im Moment ist es egoistisch und dumm, überhaupt über so etwas nachzudenken. Sie sitzt auf der Kante seines Feldbetts und wartet auf die paar Sekunden, die Bradwell aufwacht, im hellen Licht blinzelt und weiß, wer sie ist. Doch es kann auch anders kommen: Er erholt sich nicht. Seine Lunge nimmt so viel Flüssigkeit auf, dass er von innen her ertrinkt. Aber darüber darf sie nicht nachgrübeln. Sie hat zu tun. Sie muss etwas vorzuweisen haben, wenn er zurückkehrt. Sie ist auch zurückgekehrt, nachdem sie bereits fast ertrunken war. Er wird es genauso schaffen.
    Pressia steht auf und lehnt sich an die bemooste Mauer. Fignan trägt viele Videoclips in sich, aber einen schaut sie sich wieder und wieder an – eine Aufnahme von ihren Eltern, als sie noch jung waren. Sie hat sich bereits detaillierte Notizen darüber gemacht, sodass es ihr jedes Mal wie ein überflüssiger Luxus vorkommt, Fignan erneut um den Clip zu bitten. Aber jetzt darf sie sich dafür belohnen, dass sie sich durch Willux’ Aufzeichnungen gekämpft hat. »Zeig’s mir noch mal. Dieselbe Aufnahme.«
    Fignan springt an und wirft den flimmernden Lichtkegel in die Luft. Pressias lachende, im Sonnenlicht stehende Mutter erscheint. Sie streicht sich die Locken aus der Stirn; dann taucht ein junger Mann auf, der Pressias Vater sein muss. Er hat Pressias dunkle, mandelförmige Augen und ein lebendiges, unvorhersehbares Lächeln. Die beiden stehen in Kadettenuniform auf einer Wiese, mit offenem Kragen, das Hemd nicht in die Hose gesteckt, und winken in die Kamera.
    Pressia will in dieses Sonnenlicht treten, ihre Mutter und ihren Vater an der Hand fassen und ihnen sagen: Ich bin’s. Eure Tochter. Ich bin hier, gleich hier. Dieses viel zu schöne, viel zu reale Bild ist eine Strafe, eine wundervolle Strafe. Durch dieses Bild kann sie ihre Eltern noch exakter vermissen, bis ins kleinste Detail.
    Im Hintergrund steht Willux mit seinem Notizbuch. Sie würde ihn überall erkennen. Er redet mit dem jungen Mann, den Pressia aus dem Zeitungsausschnitt in der Leichenhalle kennt. Sein Gesicht war unter der Glocke verborgen – Lev Novikov, der Kadett, der bei einem Unfall ums Leben gekommen sein soll. Willux und er stecken die Köpfe zusammen und führen ein hektisches Gespräch, bis Pressias Mutter zu ihnen schlendert und auf die laufende Kamera deutet. Sie will, dass die beiden winken. Dann greift sie nach einer Hand – aber nicht nach Willux’ Hand oder nach der von Pressias Vater, sondern nach der des toten Kadetten. Lev drückt sie an sich und küsst sie, während Willux das Notizbuch unter den Arm klemmt, in die Kamera winkt, die Hand in der Tasche vergräbt und geht.
    Pressia wendet den Blick ab. Das Moos an den Wänden schimmert in Fignans flackerndem Licht. Bedeutet dieser Kuss, dass ihre Mutter und Lev ein Paar waren? Wer hat ihre Mutter eigentlich nicht geliebt? Wer war Aribelle Cording überhaupt? Pressia kann nicht glauben, dass man Liebe so einfach geben und nehmen kann. War ihre Mutter schwach? Sie ist ihrem Herzen gefolgt, nicht ihrem Kopf, und dafür sollte Pressia dankbar sein, denn sonst wäre sie nie geboren worden. Und trotzdem wünschte sie, ihre Mutter wäre irgendwie … ja, was? Stärker gewesen? Weniger anfällig für die Liebe? Liebe ist Luxus. Auf Liebe kann man sich einlassen, wenn man sich nicht darum

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