Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
nicht ganz so ausgefeilt wie die Karibik«, sagt Iralene. »Meine Mutter liebt die Karibik. Aber es ist nicht schlecht, oder?«
»Es ist sogar ziemlich gut.«
»Weißt du, wie viele Menschen im Kapitol wissen, dass es so einen Raum gibt? Weißt du, wie viele Menschen einen Regentropfen auf einer Glasscheibe gesehen haben seit …« Seit den Explosionen. Sie spricht es nicht aus.
»Wie viele denn?«
Sie hat nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich nachfragt. »Nicht viele. Sehr wenige sogar. Vielleicht nur eine Handvoll. Und jetzt gehörst du dazu, Partridge. Du und ich, wir gehören beide dazu.«
»Und wie sieht es in London heute aus?«
»Wer will das schon sehen?«
»Ich.«
»Nein.« Sie lacht. »Sicher nicht.«
»Doch, wirklich. Das heißt … wenn du jeden beliebigen Ort auf die Wände projizieren kannst, hätte ich gerne das Gebiet direkt außerhalb des Kapitols. Aber nicht in der Vergangenheit, sondern jetzt, mit Dusts und Bestien und Unglückseligen. Das würde ich mir gerne ansehen.« Lyda ist irgendwo da draußen.
»Das haben wir nicht im Angebot.« Iralene hebt die Kugel auf und schaltet London ab. Der Raum kehrt zum Strand zurück, der leichte Wind setzt wieder ein. Über ihnen dreht sich der träge Deckenventilator.
»Aber du hast gesagt: auf der ganzen Welt.«
»Auf der ganzen konservierten Welt.« Sie stellt das Gerät auf den Nachttisch.
»Ich will aber die Gegenwart. Die ganze Welt, aber jetzt .«
»Bitte red nicht so.« Ihre Hände krallen sich in ihre nackten Oberarme.
»Sag meinem Vater, dass ich die Gegenwart will.«
»Das geht nicht.«
»Doch.«
»Nein. Dann hätte ich versagt, und ich kann ihm nicht sagen, dass ich versagt habe.«
»Sag ihm, sein Sohn würde gerne zu ihm stoßen, in der echten Welt.«
»Du hasst mich. Warum hasst du mich so?«
»Ich hasse dich nicht.«
»Doch. Und jetzt bin ich wertlos. Ich habe so lange gewartet. Und jetzt? Jetzt hasst du mich.«
»Iralene«, flüstert Partridge. Sie umklammert ihre Arme so fest, dass die Haut rot anläuft. Er legt ihr die Finger aufs Handgelenk. »Lass das. Du tust dir ja weh.«
»Ich bin zu alt, Partridge. Zu alt, um noch einen Partner zu finden.«
»Ach was. Wie alt bist du denn? Sechzehn?«
Sie lächelt ihn an, als hätte er ihr ein rührendes Kompliment gemacht. »Genau. Sechzehn.«
»Ich kann dir helfen, Iralene. Und du kannst mir helfen.«
»Brauchst du mich?«
»Ja.«
»Wozu?«
»Ich muss hier raus.«
»Aber hier ist draußen. Du kannst hierbleiben und auf der ganzen Welt leben! Es gibt keinen besseren Ort als hier. Meine Mutter und ich …«
Er tritt dicht vor sie und streift ihr das Haar hinter die Schultern. »Hör mir zu, Iralene«, flüstert er ihr ins Ohr. »Ich muss an Durand Glassings rankommen. Ich muss hier raus. Ich will nicht an einen besseren Ort, sondern an einen echten Ort. Kannst du mir helfen?«
Iralene steht nur ein paar Zentimeter entfernt. Sie blickt sich um.
»Du darfst niemandem verraten, worum ich dich gebeten habe«, sagt er. »Niemandem. Das ist unser Geheimnis.«
»Ich verrate es niemandem«, haucht sie ganz nah an seinem Ohr. »Keiner Menschenseele. Ich sage kein Wort. Kein Sterbenswörtchen, keiner Menschenseele. Aber dann hilfst du mir?«
»Ja. Sag mir einfach, was du willst.«
Iralene mustert ihn verblüfft; vielleicht hat sie noch nie darüber nachgedacht, was sie eigentlich will. Sie öffnet den Mund, doch da sie nichts zu sagen hat, schließt sie ihn wieder.
»Iralene …«, murmelt er.
»Ich kann gar nicht Klavier spielen.« Ihre Wangen flammen auf.
»Das macht nichts.«
»Aber du musst der Musik folgen.« Das ist ihr Geschenk für ihn – sie hat ihm etwas Entscheidendes verraten. »Jetzt bist du mir was schuldig.«
Ihm wird mulmig. Was wird ihn dieses Geschenk noch kosten? »Wir helfen uns gegenseitig.«
»Das ist unser Geheimnis«, flüstert sie. » Unser Geheimnis.«
EL CAPITÁN
Frei
El Capitán schaltet runter, als der Truck sich einen Hang hinaufquälen muss. Hinter ihm pfeift Helmud vor sich hin.
Auf der Rückbank hockt der Soldat, der ihnen bei den Operationen hilft. Sie sind auf dem Weg zurück zum Vorposten. Es dämmert schon. El Capitán hält Ausschau nach Wildschweinen und bleichen Eulen. Er hat kein schlechtes Gewissen, weil er möglichst viele von den verdammten Vögeln abgeknallt hat – nur schade, dass man sie nicht essen kann. Aber den Keiler konnte man essen. Wunderschönes, marmoriertes Fleisch, das sie zubereitet und verspeist
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