Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
nicht sagen! Ich wurde für dich aufbewahrt, ich wurde gestoppt und aufbewahrt. Angehalten. Ich habe lange gewartet.«
»Angehalten … Was bedeutet das genau?«
»Das weißt du doch. Meine Mutter hat mir alles erzählt, euer ganzes Gespräch.« Sie hält den kleinen roten Computer hoch und erklärt noch eindringlicher: »Während deiner Genesung kannst du sein, wo du willst, Partridge! Auf der ganzen Welt!«
»Na schön.« Wenn er entkommen will, muss er herausfinden, wie dieser Ort funktioniert. Vielleicht kann er Iralenes Vertrauen gewinnen und ein paar Informationen aus ihr herauskitzeln – über seinen Vater und dieses wunderhübsche Gefängnis. »Such dir was aus«, sagt er.
»Ja!« Sie ist ganz aufgeregt. »London!« Auf Knopfdruck fährt das Gerät einen Bildschirm aus. Iralene tippt darauf herum, gibt Informationen ein. Zwischendurch blickt sie immer wieder lächelnd auf, um sich zu vergewissern, dass Partridge sich amüsiert. Das tut er nicht, aber ihr zuliebe zieht er aufmunternd die Augenbrauen hoch. Iralene ist labil. Wer weiß, was passiert, wenn er nicht wenigstens ein bisschen mitmacht? Sie könnte zusammenbrechen.
Iralene stellt den rundlichen Computer auf den Boden – und der Raum verwandelt sich. Es ist ein gespenstischer Anblick. Ein silbernes Tablett mit zierlichen Tassen und Tellern taucht auf. An den Wänden erscheinen Porträts von Königinnen und Königen. Ein geraffter Brokatvorhang legt sich ums Fenster, dahinter eröffnet sich eine Aussicht auf ein gigantisches Riesenrad, auf eine Brücke und eine prächtige Kirche. Iralene stellt sich davor. »Das London Eye, die Westminster Bridge. Und die Westminster Abbey ist auch nicht weit! Ich mag London.«
Die Bettdecke hat ein dunkles Gelb angenommen, das zu den Stickereien auf dem Vorhang passt. Partridge berührt den Stoff – er fühlt sich an wie zuvor, die Veränderung ist eine bloße Projektion. »Du könntest mich ja an der Leine ausführen«, sagt er. »Wie eine englische Bulldogge.«
»Was?«
»War ein Witz. Wegen meinem Halsband.«
»Ach so. Witzig, sehr witzig!« Aber sie lacht nicht.
»Wie weit kann ich mit dem Ding gehen?«
»Du kannst in der ganzen Wohnung rumlaufen. Sie ist riesengroß, über zwei Stockwerke. Aber ich glaube, sie wollen dich erst mal hierbehalten, zu deinem eigenen …«
»Schutz. Ich weiß.« Er klemmt die Finger unter das Halsband, um es von der Haut zu lösen. »Gibt es dafür einen Schlüssel?«
»Woher soll ich das wissen?«
»War ja nur eine Frage.«
»Reden wir lieber über was anderes.«
»Okay. Ich will dich was fragen.« Partridge muss Glassings finden. Glassings stand auf der Liste seiner Mutter – eine Liste mit Personen, die auf die Rückkehr des Schwans warten. Des Cygnus , hat sie ihm damals zugeflüstert. »Wissen viele Leute, dass ich hier bin?«
»Ich weiß, dass du hier bist.«
»Ich weiß, dass du es weißt, und die Techniker, die mich beinahe umgebracht haben, wissen es auch, genau wie deine Mutter und mein Vater. Aber was ist mit der breiten Öffentlichkeit? Weiß irgendwer Bescheid?«
»Wussten sie überhaupt, dass du weg warst?«
Das ist ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen. Sein Vater hat Roboterspinnen losgeschickt, Tausende Spinnen, die Überlebende als Geiseln nehmen sollten, bis er sich stellt. Doch im Inneren des Kapitols hat Willux die Flucht seines Sohns vielleicht lieber geheim gehalten. Vielleicht war ihm die Geschichte peinlich. »Aber ein paar Leuten muss es doch aufgefallen sein.«
»Gerüchte gibt es immer, Gerüchte und Geheimnisse. Und Geheimnisse in Geheimnissen. Zu unserem eigenen Schutz. Die Wahrheit ist veränderbar. Wir leben in einem Geheimnis in einem Geheimnis in einem Geheimnis. Deshalb gibt es nichts, was wir nicht können. Gar nichts, Partridge!«
»Gefällt es dir, in einem Geheimnis in einem Geheimnis in einem Geheimnis zu leben?«
»Manchmal bin ich ein bisschen einsam. Deswegen freue ich mich ja so, dass du da bist.« Sie wirft ihm ein kleines Lächeln zu, und zum ersten Mal hat er das Gefühl, dass sie die Wahrheit sagt. Dann wendet sie sich ab und tippt aufs Fenster. »Bald fängt es an zu regnen. Die Regentropfen werden auf dem Glas glitzern wie Perlen.«
Als er die Füße auf den Boden stellt, fasst sie ihn besorgt am Ellenbogen. »Ich schaff das schon«, beteuert er und steht auf, eine bleierne Schwere im Kopf. Er berührt ein Gemälde und spürt keine getrockneten Ölschichten, sondern nur glatte Wand.
»London ist
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